22. Juli 2022 / Aus aller Welt

Mindestens 18 Tote bei Polizei-Einsatz in Rio

Wieder kommt es in einer Favela in Rio zu einer Polizeiaktion mit vielen Toten. Es ist der dritte tödliche Einsatz in rund einem Jahr - seit der Amtseinführung von Gouverneur Cláudio Castro, einem Verbündeten des rechten Präsidenten Jair Bolsonaro.

Frauen und Männer stehen um in Decken eingewickelten Leichen nach einem Polizeieinsatz in der Favela Complexo do Alemao.

Bei einem Polizei-Einsatz in einem der größten Armenviertel der brasilianischen Metropole Rio de Janeiro sind mindestens 18 Menschen getötet worden. Davon seien 16 mutmaßliche Kriminelle gewesen, teilte die Polizei am Donnerstagabend mit.

Bei einem der beiden anderen Opfer handelte es sich demnach um einen Polizisten. Das brasilianische Nachrichtenportal «G1» berichtete zudem von einer getöteten Bewohnerin des «Complexo do Alemão» im Norden Rios.

Ziel der Aktion in dem aus mehreren Favelas bestehenden Komplex mit rund 70.000 Bewohnern war demnach die Festnahme einer Bande. Ihr wurden Fahrzeug- und Frachtdiebstähle sowie Banküberfälle vorgeworfen. Es wäre ihm lieber gewesen, die Verdächtigen hätten nicht reagiert - «aber leider haben sie es bevorzugt, die Polizei anzugreifen», sagte Polizeisprecher Ronaldo Oliveira bei einer Pressekonferenz.

Schusswechsel am frühen Morgen

Der Einsatz hatte am frühen Morgen begonnen, an die 400 Polizisten waren beteiligt - mit vier Helikoptern und zehn gepanzerten Fahrzeugen. Augenzeugen berichteten in sozialen Medien von heftigen Schusswechseln. «Viele Schüsse in diesem Moment. Das ist ein Kriegsszenario», schrieb Rene Silva, Gründer der auf Nachrichten aus den Favelas spezialisierten «Voz das Comunidades», auf Twitter.

In einem Video war zu sehen, wie ein Helikopter beschossen wurde. Rios Polizei setzt in den dicht besiedelten Favelas Helikopter ein, um von diesen aus zu schießen. Bewohner schwenkten weiße Tücher. «Wer wird den Gouverneur Cláudio Castro und seine desaströse öffentliche Sicherheitspolitik stoppen», hieß es in einem Tweet von Amnesty International Brasilien. «Schluss mit der Brutalität. Die Favela will leben.»

Im Juli 2020 hatte der Oberste Gerichtshof in Brasília Polizei-Einsätze in Favelas während der Corona-Pandemie ausgesetzt. Diese sind nur in «absoluten Ausnahmefällen» erlaubt. Der oberste Gerichtshof in Brasília entschied, dass die Regierung von Rio de Janeiro Maßnahmen handeln müsse, damit nicht mehr so viele Polizeieinsätze tödlich enden.

Der im Mai vergangenen Jahres ins Amt eingeführte Gouverneur Castro ist ein Verbündeter von Jair Bolsonaro. Brasiliens rechter Präsident spricht sich dafür aus, dass Polizisten nicht juristisch belangt werden können, wenn sie im Einsatz Menschen töten. Drei der vier Polizeieinsätze in Rio mit den meisten Toten ereigneten sich in den vergangenen 14 Monaten.

Im Mai waren bei einem Polizeieinsatz in dem Armenviertel «Vila Cruzeiro» in Rio 24 Menschen ums Leben gekommen. Vor mehr als einem Jahr hatten Polizisten beim blutigsten Einsatz in Rios Geschichte in der Favela «Jacarezinho» mindestens 28 mutmaßliche Mitglieder von Drogenbanden getötet.

«Krieg ohne Ende»

«Ich werde die Kriminalität weiterhin mit aller Kraft bekämpfen», schrieb Gouverneur Castro auf Twitter. «Wir werden nicht von unserer Mission ablassen, Frieden und Sicherheit für die Menschen in unserem Staat zu gewährleisten.»

Mächtige Banden ringen in den Armenvierteln um Kontrolle bei Drogenhandel und Schutzgeldgeschäften. Die Gewalt schwappt immer wieder auch auf andere Teile Rios über und trifft Unbeteiligte.

2021 töteten Sicherheitskräfte in dem südamerikanischen Land mehr als 6000 Menschen, wie aus einem Gewaltmonitor hervorgeht, der vom Nachrichtenportal «G1», dem Brasilianischen Forum für öffentliche Sicherheit, und der Universität von São Paulo betrieben wird.

Die Verhältnisse sowie die Arbeitsbedingungen der Polizei lassen sich nicht mit denen in Europa vergleichen. Die Operationen in den häufig von schwer bewaffneten Drogenbanden kontrollierten Favelas gleichen eher Militäreinsätzen als Polizeiaktionen. Die Zeitung «Extra» titelte am Freitag: «Die neue Tragödie in einem Krieg ohne Ende.»


Bildnachweis: © Silvia Izquierdo/AP/dpa
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