12. September 2021 / RUMS-Brief

Das Dorf, die Feuerwehr und der Friedhof

Die Kolumne von Michael Jung

Feuer

Es gibt Angelegenheiten, die sind eigentlich Routine in der Kommunalpolitik in Münster. Seit mehreren Jahren ist zwischen Politik und Verwaltung klar: Münsters Feuerwehrgerätehäuser sind in die Jahre gekommen, und so soll jährlich eines erneuert werden. Das betrifft vor allem die Außenstadtteile, denn vor allem dort sind die Löschzüge der Freiwilligen Feuerwehr ein zentraler Bestandteil der Sicherheit in unserer Stadt. Viele Ehrenamtliche sorgen mit hohem Einsatz mit dafür, dass auch vor Ort so schnell wie möglich Hilfe kommt (nämlich innerhalb von acht Minuten nach Notruf).

Das verdient Anerkennung, aber es bedarf auch einer vernünftige Infrastruktur dafür. Und so gibt es eigentlich kaum Streit über diese Erneuerung – allenfalls über die Frage, ob jedes Haus mit einem Architektenwettbewerb erstellt werden muss. Ich habe darüber schon einmal geschrieben. In Albachten aber eskaliert der Streit über ein solches Gerätehaus gerade. Wie kann das passieren in diesem Ort, der in vielerlei Hinsicht heile Münster-Welt ist? Und wieso wegen einer solchen Bagatelle? Dieses dörfliche Drama möchte ich mit Ihnen heute einmal besprechen – man kann daran nämlich manches lernen, weit über die als Petitesse erscheinende Sachfrage hinaus.

Akt 1: Ein neues Feuerwehrgerätehaus – aber wo?
Albachten ist zwar in seinem Kern ein Dorf, aber Münsters Wachstum hinterlässt auch hier seine Spuren. So plant die Stadt ein neues Baugebiet im Osten des Dorfes, im März hat der Rat den Bebauungsplan beschlossen. Diese Entwicklung bildet den Hintergrund für das große Drama. Bald gab es nämlich zwei Ideen, wo das neue Feuerwehrgerätehaus entstehen sollte. Seit 1948 steht es genau in der Ortsmitte an der Dülmener Straße, aber Zustand und Fläche genügen nicht mehr den Anforderungen.

Könnte nicht im neuen Baugebiet im Osten eine Fläche vorgesehen werden, auf der dann ein schickes neues Haus entstehen würde? Das Problem zeigte sich schnell: Von den Wehrleuten wohnt natürlich niemand dort bisher, die Wege werden lang, und die große Frage ist: Können dann noch die acht Minuten garantiert werden vom Notruf bis zum Eintreffen der Hilfe?

Das zweite Problem ist nämlich die Bahnlinie, die zwischen dem Neubaugebiet und dem Ortskern verläuft. Und so zeigte sich rasch: In der Freiwilligen Feuerwehr gab es große Bedenken gegen die Verlagerung – und starke Argumente. Und es gab eine alternative Idee: Was ist mit der Fläche, die dem heutigen Haus genau gegenüber liegt? Dort nämlich befindet sich der alte Dorffriedhof, der seit Jahrzehnten nicht mehr belegt wird und heute weitgehend eine Grünfläche mit wenigen noch erhaltenen alten Grabanlagen ist.

Die Kirche als Eigentümerin zeigte sich durchaus interessiert, den Friedhof zu entwidmen. Und natürlich gab es neben der Idee, dort eine neue Bleibe für die Freiwillige Feuerwehr zu errichten, auch Ideen, dort viel Geld zu verdienen mit anderen Bebauungsformen. Und angesichts dieser Lage geschah, was immer passiert: Die Stadtverwaltung begann, die Frage zu prüfen – was natürlich nicht ohne aktive Beteiligung aus Albachten blieb.

Akt 2: Der Friedhof und das Grab des Ortsbauernführers
So begann das Drama, zunächst hinter den Kulissen. Der Friedhof nämlich sah die letzte Bestattung im Jahr 1986, und die wenigen noch vereinzelt erhaltenen Gräber stammen aus den 1960er-Jahren, kurz: Es handelt sich um Grabstätten, die auf anderen Friedhofsanlagen der Stadt längst abgeräumt worden wären, weil die Belegungsfrist in der Regel nach 20 Jahren endet.

Seither setzte eine Entwicklung ein, die man mit einem Wandel zu einer Grün- und Rasenfläche vornehm beschreiben kann. Das ist aber nicht alles. Ganz am Rande befindet sich, sicher einstmals eine Toplage, eine größere erhaltene Grabanlage. Dort liegt, wohl standesgemäß, der ehemalige Ortsbauernführer bestattet, der nach dem Krieg bruchlos seine Tätigkeit für die nun wieder katholische Dorfgemeinschaft an der Spitze der damals noch selbstständigen Gemeinde fortsetzte.

Ein schönes Beispiel für die Kontinuität dörflicher Eliten über alle Epochengrenzen hinweg. Diese jüngere, einwandfreie CDU-Familientradition aber brachte auch dessen Sohn in die Kommunalpolitik, wo er es zum langjährigen CDU-Ratsherrn und am Ende zum dritten Bürgermeister der Stadt brachte.

Neben ihm findet sich in der Albachtener Ortsunion auch der eine oder andere prominente Name aus dem früheren Spitzenpersonal der Stadtverwaltung, insofern also eine klassische Truppe von Dorfhonoratioren, die weiß, wie man Dinge regelt.

Und so zeigte sich bald: Die Idee, ein Feuerwehrhaus auf einer Teilfläche des alten Friedhofsgeländes zu errichten, fand deren Gnade nicht. Da gab es im Stil traditioneller Honoratiorenpolitik verschiedene Möglichkeiten der Einwirkung: Natürlich im Kirchenvorstand, der einer Umnutzung seinen Segen geben müsste, aber viel schneller und einfacher natürlich stand ein anderer Weg offen: Vielleicht sollte mal jemand mit der Verwaltung reden? Man kennt sich doch.

Akt 3: Für die richtige Entscheidung sorgen
So kam es, dass die Entscheidung der Verwaltung über den Standort nicht mehr lange zweifelhaft war. Zwar soll es dort auch andere Meinungen gegeben haben, aber am Ende wurde von ganz oben die Richtung vorgegeben. Ganz eindeutig, so hieß es in einer Ratsvorlage, spreche alles für den Standort im Neubaugebiet.

Daran und an dem Standort selbst äußerten führende Vertreter:innen der Freiwilligen Feuerwehr nun aber auch öffentlich Zweifel. Noch dazu begannen sie, Unterschriften zu sammeln – und hatten in kürzester Zeit trotz beginnenden Lockdowns Hunderte zusammen, was für einen kleinen Ort wie Albachten sicher keine Kleinigkeit ist.

Hier zeigte sich also ein Konflikt zwischen den älteren Formen klassischer dörflicher Honoratiorenpolitik, die die Dinge früh und geräuschlos hinter den Kulissen zu regeln vermag, und einer urbanen Kommunalpolitik, in der Gruppen selbstbewusster Ehrenamtler:innen sich eine eigene Meinung erlauben. Sie weisen auf die Widersprüche und Probleme hin, vor allem aber bringen sie die Dinge an die Öffentlichkeit und ins Gespräch mit Parteien, die nicht nur eine Farbe haben.

Und so zeigte sich bald: Das jahrzehntelange Politikmonopol der Dorfhonoratioren und ihrer Partei drohte infrage gestellt zu werden. Und damit war auch klar: Dieser Streit würde heftig werden.

Akt 4: Leute zum Schweigen bringen
Und so erfuhr mancher aus dem Kreis der Mitglieder der Freiwilligen Feuerwehr bald, dass die Verwaltung in Gestalt der dienstvorgesetzten Berufsfeuerwehr derlei Meinungsäußerungen nicht akzeptabel fand. Die Stimmung heizte sich auf, weil nicht jedem gleich ersichtlich war, warum man als ehrenamtlich engagierter Mensch keine Meinung mehr öffentlich äußern dürfe, obwohl es sich doch erkennbar um eine Sachfrage handelte, die die Freiwillige Feuerwehr betraf.

Ärgerlich war dabei vor allem, dass mit der SPD gesprochen wurde, wenig später stießen auch die Grünen dazu. Unangenehm war zudem, dass der örtliche CDU-Ratsherr in der Debatte länger schon ausgebüxt war und nun an der Seite der Feuerwehr und ihres Vorschlags stand. Doch das Problem ließ sich lösen, da im Herbst die Kommunalwahl anstand – da wurde der Ratsherr nämlich von der Ortsunion nicht mehr wieder aufgestellt. Statt seiner nominierte sie einen Import aus Mecklenbeck, der dafür aber die richtige Meinung zum Feuerwehrgerätehaus hatte.

So schien für den Moment erst mal alles gut geregelt: Der richtige Vorschlag von der Verwaltung, die Mehrheit in der jahrzehntelang dominierenden Partei gesichert, und die Freiwillige Feuerwehr mit dem Disziplinarrecht bekannt gemacht. So eben, wie man es immer gemacht hatte.

Akt 5: Die Regierungspräsidentin greift ein, aber der Rat schlägt über die Stränge
Der Druck aber wurde vor der anstehenden Ratsentscheidung noch einmal mächtig erhöht, vor allem der Druck auf die widerstrebende SPD und die Grünen, die in Sachen Standort inzwischen auch zum unsicheren Kantonisten wurde. Kein Argument blieb ausgespart: So kam der Hinweis, katholische Friedhöfe dürften aus religiösen Gründen niemals überbaut werden.

Dem Argument hatte die Kirche allerdings selbst widersprochen: Der Glaube an die Auferstehung mache eine ewige Ruhezeit unnötig. So mussten größere Geschütze her, und da zeigte sich bald, dass die Honoratiorenpolitik übers Dorf bis zum Domplatz reichte – es kam zum Eingreifen der Regierungspräsidentin, also der Kommunalaufsichtsbehörde.

Dorothee Feller ließ in ihrem Ehrenamt als Bezirksvorsitzende des Volksbunds Kriegsgräberfürsorge über die dienstliche Pressestelle der Bezirksregierung wissen: Hier auf dem Dorffriedhof lägen Kriegsgräber, für die ein gesetzlicher, dauerhafter Bestandsschutz gelte. Eine Bebauung sei daher völlig ausgeschlossen und außerdem rechtswidrig.

Das war ein schönes Beispiel vorausschauender Kommunalaufsicht – denn während anderswo möglicherweise rechtswidrige Ratsbeschlüsse erst nach ihrem Zustandekommen von der Bezirksregierung geprüft und gegebenenfalls beanstandet werden, rügt die Behörde sie in Münster schon vor einer Beschlussfassung im Rat über die Presse, wenn sie relevante Interessen zu beeinträchtigen drohen.

Diese hochrangig aufgehängte Intervention der Regierungspräsidentin verlor nicht etwa deshalb an Überzeugungskraft, weil sie bei ihrem beherzten Eingreifen den Ortsvorsitzenden des Volksbundes (leider falsches Parteibuch) nicht einbezogen hatte. Nein, ihr Zwischenruf wurde überflüssig, weil sich auf der Liste der offiziellen Kriegsgräber gar keine auf dem Albachtener Friedhof fanden, die den entsprechenden gesetzlichen Schutz genossen hätten.

So trieb nun alles auf eine Ratssitzung zu, bei der die Entscheidung fallen sollte. Allerdings ging es mit der schwarz-grünen Koalition doch schneller zu Ende, als manch einer im Frühjahr gedacht hatte. Und als der Rat im Juni 2020 über den Standort entscheiden sollte, da löste sie sich in laufender Sitzung einfach auf.

Das lag zwar nicht an der eindrucksvollen Demonstration der Freiwilligen Feuerwehr vor der Halle Münsterland. Dennoch fiel das Ergebnis anders aus als erwartet: Statt des vorbereiteten Beschlusses für den Standort im Neubaugebiet fand ein Antrag die Mehrheit, den Standort in der Ortsmitte zu prüfen.

Es war keine kleine Mehrheit, denn nur der ergebene Teil der CDU stimmte noch für den Verwaltungsvorschlag. So war jetzt doch alles anders gekommen als gedacht, der Rat hatte frech über die Stränge geschlagen, und die Nebelkerzen hatten nicht gezündet. Es wurden also andere Mittel nötig.

Akt 6: Die Verwaltung bringt die Dinge wieder in Ordnung
In Münster ist ein demokratischer Beschluss und eine politische Entscheidung natürlich nicht das letzte Wort, wenn dabei die Falschen überstimmt und außerdem deren örtliche Honoratioren brüskiert wurden – und wenn das beschlossen wurde, was Hunderte Menschen in Albachten unterstützt hatten, also die deutliche Mehrheit im Dorf,

Deswegen mahlten nun die Mühlen der Verwaltung, und sie mahlten langsam und fein, und als jetzt das Ergebnis kam, waren die Sachzwangkulissen ganz anders aufgestellt als noch im letzten Sommer. Keine religiösen und rechtlichen Bedenken mehr, nun hatten also umfangreiche Prüfungen der Ämter und auch der Unfallkasse ergeben: Das Grundstück passt gar nicht, zu wenig Platz, der Übungshof zu klein, die Lagerräume auch, und die Baukosten erst, 5,2 Millionen Euro!

Und überhaupt: Es gibt doch ein schönes, viel besser geeignetes Grundstück im Neubaugebiet. Jetzt neuerdings sogar mit Zufahrt über die Weseler Straße. So informierte die Verwaltung die Fraktionsspitzen. Und über den städtischen Presseverteiler, den die vom Oberbürgermeister von der Rheinischen Post verpflichtete Edelfeder redigiert, erschien auch gleich eine Meldung mit der Überschrift: „Feuerwehrhaus Albachten im Neubaugebiet“, damit auch niemand mehr auf falsche Ideen kommt.

Akt 7: Vor dem Finale
Und so kommt es im November wohl zum Finale im Rat: In ersten Reaktionen zeigte sich bereits: Die CDU-Führung jubiliert und feiert einen Sieg, die Grünen zögern noch. Vor Ort regt sich Widerstand, aber manch einer im Rat hat die Waffen schon öffentlich gestreckt: Und so verfolgen wir mal gespannt, wie das Spiel ausgeht.

Wenn Albachten ein Feuerwehrgerätehaus im Neubaugebiet bekommt, dann könnte es sein, dass es demnächst deutlich weniger Feuerwehr gibt – denn nicht jeder Ehrenamtler dürfte den bisherigen Weg dorthin für überzeugend halten.

Eine Prognose wage ich aber schon unabhängig vom Ausgang der Debatte: Das war das allerletzte Spiel der alten Dorfeliten. Die Transformation des Dorfes Albachten in einen urbanen Stadtteil wird dieser Streitfall eher beschleunigen als aufhalten. Die alten Milieus lösen sich auf, und die alten Gewissheiten mit ihnen. Das dürfte dann eventuell auch die CDU interessieren.

Über den Autor
Michael Jung lebt schon immer in Münster. Er wurde 1976 hier geboren. Er hat an der Uni Münster Latein und Geschichte studiert und in Geschichte promoviert. Heute ist er Lehrer am Annette-Gymnasium in Münster. Michael Jung war viele Jahre in der Politik: Von 2013 bis 2020 war er Fraktionschef der SPD im Rat der Stadt, im Jahr 2020 trat er für die SPD bei den Kommunalwahlen als Oberbürgermeisterkandidat an.

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