27. Januar 2023 / Aus aller Welt

Kinder von Balkon geworfen - Mutter war schuldunfähig

Fassungslosigkeit bestimmen Plädoyers und Urteil im Mordprozess gegen eine 39-jährige Mathematikerin, die ihre Kinder von einer Brüstung geworfen hat. Zum Tatzeitpunkt war sie schuldunfähig, so die Richter.

Am Landgericht Saarbrücken ist der Prozess gegen eine Mutter zuende gegangen, die ihre Kinder vom Balkon geworfen hat.

Alle Beteiligten am Saarbrücker Landgericht sind sich einig: Die 39-Jährige, die ihre beiden Töchter von einer sieben Meter hohen Brüstung geworfen hat, was eine nicht überlebte, war schuldunfähig. Wegen einer psychischen Erkrankung könne sie strafrechtlich im Sinne einer Bestrafung nicht zur Verantwortung gezogen werden.

Die Kammer ordnete in dem Sicherungsverfahren die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Das hatte auch die Staatsanwaltschaft beantragt, die Verteidigung hatte sich dem angeschlossen. Eine Bewährungsstrafe schlossen alle aus. Laut Oberstaatsanwältin stelle die Frau zum jetzigen Zeitpunkt eine Gefahr für die Allgemeinheit dar. Das Urteil ist schon rechtskräftig.

«Mischung aus Depression und Psychose»

Die gestorbene Tochter war drei, die andere ein Jahr alt. Nach eigenen Angaben litt die promovierte Mathematikerin, die als Unternehmensberaterin in Frankfurt gearbeitet hatte, an einer «Mischung aus Depression und Psychose». An die Tat selbst könne sie sich nicht mehr erinnern. Vor der Urteilsverkündung bat sie alle Familienangehörigen mehrfach um Entschuldigung. «Es tut mir einfach unendlich leid, was passiert ist. Ich kann selbst nicht fassen, wie ich die Familie zerstören konnte.»

Auch vor Gericht werde man mitunter mit Sachverhalten konfrontiert, «die ziemlich fassungslos machen», sagte der Vorsitzende Richter Andreas Lauer. An die Beschuldigte gewandt, meinte er: «Wenn man nicht weiß, was mit Ihnen los ist, merkt man Ihnen äußerlich nicht an, dass Sie psychisch eine schwer kranke Frau sind.» Ein Gutachter hatte bei ihr Anzeichen für eine Schizophrenie und eine ausgeprägte depressive Symptomatik festgestellt, die sich zugespitzt und in einem akuten Wunsch nach Suizid gemündet habe. Ihre Kinder, so hatte die Beschuldigte selbst gesagt, wollte sie nicht alleine zurücklassen.

Die dreijährige Tochter war Ende Juli 2022 bei dem Sturz an einem Schädel-Hirn-Trauma gestorben. Deren einjährige Schwester und die Mutter, die selbst in die Tiefe sprang, überlebten. Die Familie wohnte im hessischen Main-Taunus-Kreis und war zu Besuch bei den Großeltern in Saarbrücken gewesen.

Verteidiger: Früher «stolze Mutter von zwei gesunden Kindern»

Nach Ansicht des Verteidigers schlich sich Ende 2021 «eine grausame, heimtückische Krankheit» bei der Mutter ein - bei einer Frau, die hochintelligent, integriert im Beruf gewesen sei, in einer intakten Umgebung und großartigen Familie gelebt habe und «überglückliche und stolze Mutter von zwei gesunden Kindern» gewesen sei. Die Krankheit habe völlig Besitz von ihr ergriffen mit der Folge, dass diese «grausame Tat» geschehen sei. Sie habe im Zustand der Schuldunfähigkeit gehandelt, wisse aber, dass der Tod eines Kindes nicht wieder gutzumachen sei. «Ich bitte Sie einfach nur an dieser Stelle, dieser Frau zu vergeben. Ich glaube, dass sie es verdient hat», schloss er.

Richter Lauer gab zu bedenken, dass die Tat zu diesem Zeitpunkt nie passiert wäre, wenn die Frau dem Rat ihrer Ärzte gefolgt wäre, weiter ihre Medikamente genommen und in einer Tagesklinik geblieben wäre. Es sei jedoch bereits Teil ihrer Erkrankung gewesen, dass sie die Notwendigkeit dafür nicht gesehen habe. Lauer appellierte an die Beschuldigte, in Zukunft auf die Ärzte zu hören. Da bei ihr eine gute Wirksamkeit der Medikamente festzustellen sei, sähe er «relativ zeitnahe Chancen», dass sie wieder auf freien Fuß komme.


Picture credit: © Oliver Dietze/dpa
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