5. November 2020 / Bildung & Wissenschaft

Ausbreitungen von Infektionskrankheiten verstehen

Physiker weisen Abnahme der Infektionszahlen durch "Social Distancing" nach

Social Distancing

Bild (M. te Vrugt et al./Nature Research): Simulationen basierend auf einem neuen Modell für die Ausbreitung von Epidemien, zeigen die Abnahme der Infektionszahlen durch Social Distancing. 


Infolge des weltweiten Ausbruchs der Krankheit COVID-19, verursacht durch das neue Coronavirus SARS-CoV-2, arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler weltweit mit Hochdruck an der Erforschung von Infektionskrankheiten. Dies betrifft nicht nur Virologen, sondern auch Physiker, die mathematische Modelle zur Beschreibung der Ausbreitung von Epidemien entwickeln. Solche Modelle sind wichtig, um die Auswirkungen verschiedener Maßnahmen zur Eindämmung der Krankheit zu testen – etwa Gesichtsmasken, Schließungen von öffentlichen Gebäuden und Geschäften, oder das bekannte "Social Distancing", also das Abstand halten zur Vermeidung von Ansteckungen. Oftmals dienen die Modelle als Grundlage für politische Entscheidungen und stärken die Legitimation ergriffener Maßnahmen.

Die Physiker Michael te Vrugt, Jens Bickmann und Prof. Dr. Raphael Wittkowski vom Institut für Theoretische Physik und Center for Soft Nanoscience der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) haben ein neues Modell zur Ausbreitung von ansteckenden Krankheiten entwickelt. Die Arbeitsgruppe von Raphael Wittkowski beschäftigt sich mit Statistischer Physik, also der Beschreibung von Systemen, die aus sehr vielen Teilchen bestehen. Dabei nutzen die Physiker unter anderem "dynamische Dichtefunktionaltheorie" (DDFT), eine in den 1990er-Jahren entwickelte Methode, welche die Beschreibung von wechselwirkenden Teilchen ermöglicht.

Zu Beginn der Corona-Pandemie kam ihnen die Idee, dass die gleiche Methode zur Beschreibung der Ausbreitung von Krankheiten hilfreich ist. "Menschen, die Social Distancing betreiben – die also versuchen, Abstand voneinander zu halten – kann man sich im Prinzip wie Teilchen vorstellen, die sich gegenseitig abstoßen, weil sie zum Beispiel die gleiche elektrische Ladung haben" erklärt Erstautor Michael te Vrugt. "Also kann man Theorien, die abstoßende Teilchen beschreiben, vielleicht auch auf voneinander Abstand haltenden Menschen anwenden." Basierend auf dieser Idee entwickelten sie das sogenannte "SIR-DDFT-Modell", welches das SIR-Modell (eine bekannte Theorie zur Beschreibung der Ausbreitung von Infektionskrankheiten) mit DDFT kombiniert. Die resultierende Theorie beschreibt Menschen, die sich gegenseitig anstecken können, die aber auch Abstand voneinander halten. "Sie ermöglicht es zudem, räumliche Hotspots von Infizierten zu beschreiben und damit die Dynamik von sogenannten 'Superspreader-Ereignissen', wie dem Karneval in Heinsberg oder Apres-Ski in Ischgl, besser zu verstehen." ergänzt Mitautor Jens Bickmann. Die Studienergebnisse sind nun in der Fachzeitschrift "Nature Communications" veröffentlicht.

Das Ausmaß des Social Distancing wird dann durch die Stärke der abstoßenden Wechselwirkung beschrieben. "Dadurch kann man mithilfe der Theorie auch die Auswirkungen von Social Distancing testen, indem man eine Epidemie mit verschiedenen Werten der Parameter, die die Stärke der Wechselwirkung beschreiben, simuliert", erläutert Studienleiter Raphael Wittkowski. Die Simulationen zeigen, dass die Infektionszahlen durch Social Distancing tatsächlich deutlich sinken. Damit reproduziert das Modell den bekannten "Flatten-The-Curve-Effekt", bei dem die Kurve, die den zeitlichen Verlauf der Anzahl der Erkrankten beschreibt, als eine Folge des Abstand-Haltens deutlich flacher wird. Gegenüber existierenden Theorien hat das neue Modell den Vorteil, dass die Auswirkungen von sozialen Interaktionen explizit modelliert werden können.

Meistgelesene Artikel

Nackte Kunst aus der Tate
Kunst & Kultur

LWL-Museum für Kunst und Kultur lädt zur Eröffnung von "Nudes" und zum Langen Freitag ein

weiterlesen...

Neueste Artikel

Ältere Autofahrer bei Unfällen häufiger Hauptverursachende
Aus aller Welt

Ältere Menschen sind zwar seltener mit dem Auto unterwegs, bei schwerwiegenden Unfällen sind sie aber häufiger Hauptverursacher. Und: Ein Drittel aller Verkehrstoten sind Senioren. Woran liegt das?

weiterlesen...
Urteil zur Amokfahrt in Trier überwiegend aufgehoben
Aus aller Welt

Die tödliche Amokfahrt vor drei Jahren in Trier hatte bundesweit für Entsetzen gesorgt. Nun kommt es zu einer Teil-Neuauflage des Prozesses gegen den Täter. Betroffene sind entsetzt.

weiterlesen...

Weitere Artikel derselben Kategorie

Sensationsfund: Münstersche Archäologen der Forschungsstelle Asia Minor legen Stadtarchiv frei
Bildung & Wissenschaft

Wissenschaftler bergen in der antiken Stadt Doliche zudem mehr als 2.000 Siegelabdrücke

weiterlesen...
Öffentliche Veranstaltungen zum 17. Tag der Antiken Numismatik
Bildung & Wissenschaft

Abendvortag über archaische Münzprägungen am 17. November

weiterlesen...