24. Mai 2023 / Bildung & Wissenschaft

„Die Judenbuche“ zeugt von einem maroden Rechtssystem

Analyse zum 175. Todestag von Annette von Droste-Hülshoff

Foto (ULB Münster): Mit Pfauenfedern, einer Schreibfeder, Papier, Nadel und Faden fertigte Annette von Droste-Hülshoff 1820 diese Bild-Text-Collage an. Die Federn stammen wahrscheinlich vom Hof der westfälischen Wasserburg Hülshoff, wo die Schriftstellerin aufwuchs und rund 30 Jahre lebte. 


Mord und Totschlag sind zwei wesentliche Elemente der Novelle „Die Judenbuche“ von Annette von Droste-Hülshoff. Welches Rechtssystem und -Verständnis liegt dieser Erzählung zugrunde? Dieser Frage ist die Germanistin Dr. Claudia Lieb von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster jetzt nachgegangen – Anlass ist der 175. Todestag der bekanntesten deutschen Dichterin des 19. Jahrhunderts, die am 24. Mai 1848 starb. Das wesentliche Ergebnis der Untersuchung: Die Kriminalgeschichte, die im ländlichen Westfalen des 18. Jahrhunderts spielt, sei der Beleg für das damalige „dysfunktionale Rechtssystem“. Die in der „Judenbuche“ geschilderten Kapitalverbrechen würden weder aufgeklärt noch amtlich bestraft. Dies geschehe „Hand in Hand mit einer mörderischen Umweltzerstörung, der niemand etwas entgegenzusetzen weiß“. Die gerodete, geplünderte und zugrunde gerichtete Waldlandschaft des Textes entspreche der verarmten, verwahrlosten und verrohten Dorfbevölkerung. Das literarische Werk, das auf einem historischen Vorfall beruht, weise somit auf drängende zeitgenössische Rechtsprobleme hin. An die Stelle der damaligen Gerichtsbarkeit, die offenkundig überfordert gewesen ein, rücke Annette von Droste-Hülshoff das jüdische, auf der Tora beruhende Recht, dessen Vergeltungs- und Entschädigungsprinzip ihr offenbar bekannt war.


Foto (Käte Hamburger Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“): Dr. Claudia Lieb 

Claudia Lieb, die als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Käte-Hamburger-Kolleg „Einheit und Vielfalt im Recht“ an der WWU arbeitet, nennt als Beispiel einen Zusatz, den die Autorin der Prophezeiung auf der Judenbuche vorangestellt habe: „Wenn du dich diesem Orte nahest“. Offenbar habe Annette von Droste-Hülshoff das Wort „Halacha“ gekannt, die Bezeichnung für jüdisches Recht. Es leite sich von dem hebräischen Verb ,halach‘ für ,gehen‘ ab und meine wörtlich ,der zu gehende Weg‘. „Wer sich dem Tatort der Judenbuche nähert, begibt sich folglich auf den Weg des Rechts“, erläutert Claudia Lieb.

Annette von Droste-Hülshoff hat ein literarisches Œuvre von Weltrang hinterlassen und war vielfach begabt und interessiert. Sie legte eigene naturwissenschaftliche Sammlungen an, komponierte und zeichnete. Claudia Lieb hat mit Studierenden dazu eine digitale Ausstellung mit dem Titel „Aus der Feder, mit der Feder. Collagen, Zeichnungen und Gedichte von Annette von Droste-Hülshoff“ konzipiert. Zu den Exponaten zählen Literaturcollagen auf der Basis von Pfauenfedern sowie ein Miniaturbuch im Format einer heutigen Scheckkarte mit detailreichen Zeichnungen und Scherenschnitten. Die Ausstellung ist auf den Seiten der Deutschen Digitalen Bibliothek unter folgendem Link zu sehen: https://go.wwu.de/droste

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