14. Juni 2021 / Kunst & Kultur

Wohnen in Stahl

Hoesch-Bungalow in Münster-Gievenbeck ist Denkmal des Monats

Fotos (Rauterberg): Der LWL hat den Hoesch-Bungalow aus Stahl in Münster-Gievenbeck als Denkmal des Monats ausgezeichnet.


Ein weißer Flachdach-Bungalow aus Stahl, entwickelt und produziert von der Firma Hoesch, steht in Münster und ist das Denkmal des Monats Juni des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL). "Die wenigsten werden mit dem einst in Dortmund ansässigen Industriegiganten experimentelle Avantgarde-Architektur verbinden", so LWL-Denkmalpflegerin Dr. Anke Kuhrmann, "und doch steht das nahezu authentisch überlieferte Gebäude für ein ebenso originelles wie wichtiges Projekt der Architekturgeschichte."

In Münster ließ ein Universitätsprofessor 1964 den Stahlbungalow für seine Familie in dem damals durch den Ausbau der Klinik boomenden Stadtteil Gievenbeck errichten. "1974 wurde das Haus von seinen heutigen Eigentümern erworben, die ihr ungewöhnliches Zuhause sehr schätzen", sagt Kuhrmann.


Die Rückansicht des Hoesch-Bungalows

Eine Stagnationsphase der Stahlindustrie im Ruhrgebiet gab den Impuls zur Entwicklung des Stahlfertighauses. "1959 stellte Hoesch erstmals den selbst entwickelten neuartigen Verbundwerkstoff Platal vor", erklärt Denkmalpflegerin Kuhrmann. "Das PVC-beschichtete Stahlblech konnte zu einer Vielzahl von Fertigteilen weiterverarbeitet werden und diente auch als Ausgangsmaterial für den Stahlbungalow."


Blick in das große Wohnzimmer mit seinen bodentiefen Fenstern.

Was zunächst als mobiles Zuhause für Mitglieder der amerikanischen Streitkräfte und Beschäftigte deutscher Firmen im Ausland gedacht war, entwickelte sich zu einem schlüsselfertigen Bungalowbausystem. "1962 präsentierte Hoesch auf der Hannover-Messe zwei eingeschossige stählerne Flachdachbungalows unterschiedlicher Größe", so Kuhrmann. "Nachfolgend wurden drei Einfamilienhaustypen angeboten, die entsprechend der Größe ihrer Wohnfläche die Typenbezeichnung 55, 109 oder 146 trugen."

Um das Projekt wirtschaftlich zu gestalten, plante der Konzern ursprünglich die Produktion von 2.000 Bauten. "Bis zur Einstellung der Produktion 1969 sind nach derzeitigem Kenntnisstand jedoch weltweit höchstens 200 Hoesch-Bungalows realisiert worden", weiß die Denkmalpflegerin, "in Werkssiedlungen in Dortmund, Hamm und Darmstadt, als Stützpunkte der Autobahnpolizei und wie in Münster durch private Bauleute."

Mehrere der wenigen erhaltenen Hoesch-Bungalows stehen heute unter Denkmalschutz. Auch das Stahlhaus in Münster-Gievenbeck ist seit 2018 ein Denkmal. "Grund ist nicht nur seine Bedeutung für die Geschichte der Universitätsstadt Münster, sondern auch für die Architekturgeschichte. Obwohl der Bungalow mit keinem Architekten oder Ingenieur namentlich in Verbindung gebracht werden kann, ist er ein klares und maßgebliches Bekenntnis zum modernen und industriellen Bauen," so Kuhrmann. 

Hintergrund: Leben im Stahlbungalow
Gabriele Rauterberg erinnert sich noch gut, warum sie und ihr Ehemann Prof. Dr. Jürgen Rauterberg sich vor 47 Jahren für den Kauf ihres Hoesch-Bungalows entschieden haben. Der große Wohnraum mit den bodentiefen Fenstern zum Garten überzeugte die Eltern von drei Kindern. "So ein großer Raum war für ein Einfamilienhaus dieser Zeit etwas ganz Besonderes," erinnert sich Gabriele Rauterberg, eine Beobachtung, die LWL-Denkmalpflegerin Kuhrmann bestätigt: "Die Stahlfertigbauweise ermöglichte es, auch größere Räume zu überspannen. Ergebnis ist ein großzügig geschnittener Raum, der sich über die gesamte Breite des Gebäudes von der Straßenfassade bis zum Garten erstreckt." 

Mit vier Schlafzimmern und zwei Bädern bot der Bungalow vom Typ 146 viel Platz für Familien. "Auch bevor wir hier im Jahr 1974 eingezogen sind, haben hier immer Familien mit Kindern gewohnt," weiß Gabriele Rauterberg. 1964 war der Bungalow von einem Universitätsprofessor errichtet und später vermietet worden.

Erst ein Jahr zuvor war das Hoesch-Fertighaus auf den Markt gekommen. Unterboden, Wände und Dach bestehen aus dem neu entwickelten Verbundwerkstoff Platal. Bilder können im Haus der Rauterbergs also ganz einfach per Magnet aufgehängt werden oder über die Galerieschienen, die alle Hoesch-Bungalows serienmäßig mitbringen.

"Die Wände sind rostfrei und auch streichen kann man sie," berichtet Rauterberg, "nur tapezieren ist schwierig." Auch Türen und Fenster des Hoesch-Bungalows, selbst die Sonnensegel über dem Freisitz, bestehen aus Stahl. Das hat nicht nur Vorteile. "Die zwei Kastanienbäume haben wir vor 25 Jahren gepflanzt, um zu verhindern, dass sich das Dach bei Sonnenschein so stark aufheizt", erklärt Jürgen Rauterberg.

Weitere Besonderheiten des Stahlbungalows zeigen sich vom Garten aus: Ein Teil des Gebäudes ruht nicht auf dem Kellerfundament, sondern schwebt frei - etwa einen halben Meter unter dem Boden. Ein offener Kamin befindet sich - wie in allen Hoesch-Bungalows - nicht im Innenraum, sondern auf dem erhöhten Freisitz. "Ein Lagerfeuer auf der Terrasse - das finden auch unsere Enkelkinder toll", berichtet Gabriele Rauterberg. 

Gemeinsam mit ihrem Mann hat sie Kontakt zu anderen Eigentümern von Hoesch-Bungalows aufgenommen und die Hoesch-Siedlung in Dortmund besucht. Dass eines der Stahlhäuser demnächst als begehbares Exponat im Dortmunder Hoesch-Museum zu sehen sein wird, bestätigt die Denkmaleigentümer in ihrer Begeisterung. Und auch wenn Handwerker ins Haus kommen, erweist sich das neu erwachte architekturhistorische Interesse für die Hoesch-Bungalows als hilfreich: Eine Doktorarbeit über ein bauähnliches Haus in Gaggenau hilft beim richtigen Umgang mit dem Stahlhaus.

"Gut ist, dass wir durch den Denkmalschutz jetzt Ansprechpartnerinnen für alle Fragen rund um unseren Bungalow haben", so Gabriele Rauterberg. Auch wenn die Kinder längst aus dem Haus sind, möchten sie und ihr Mann hier wohnen bleiben. Für die Zukunft hoffen die beiden, dass ihr außergewöhnliches Haus erhalten bleibt. Gabriele Rauterberg: "Wir wünschen uns, dass hier irgendwann Menschen einziehen, die die Besonderheiten dieses Hauses zu schätzen wissen."

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