11. September 2018 / Bildung & Wissenschaft

Boten aus einer fernen Galaxie - sensationelle Entdeckung der kosmischen Neutrinoquelle

Interview mit Tobias Jogler vom LWL-Museum für Naturkunde

Grafische Darstellung des IceCube-Observatoriums mit den IceCube-Sensoren im Eis der Antarktis. Um Neutrinos nachzuweisen, hat man ein gigantisches Teleskop in das Eis am Südpol eingelassen.
Foto: IceCube/NSF

Astrophysikern des IceCube-Observatoriums am Südpol ist es nach zehn Jahren intensiver Forschung erstmals gelungen, die kosmische Quelle der hochenergetischen Neutrinos zu bestimmen. Eine Entdeckung, die in die Wissenschaftsgeschichte eingehen wird und die auch LWL-Mitarbeiter Dr. Tobias Jogler "elektrisiert". Der Experte ist Mitarbeiter des Planetariums im LWL-Museum für Naturkunde und hat lange an der Stanford University in Kalifornien zu Gammastrahlen geforscht. Hier arbeitete er auch mit den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Neutrino-Forschung zusammen.

Herr Dr. Jogler, wie haben Sie auf die Nachricht vom Südpol reagiert?
Tobias Jogler: "Ich habe mich natürlich sehr gefreut über die Entdeckung. Man hat in der Forschung lange darauf gewartet und jetzt auch damit gerechnet, dass dieses letzte Fenster zum Universum bald aufgemacht wird. Die Neutrino-Astronomie ist neben der Gammastrahlenforschung und den vor zwei Jahren entdeckten Gravitationswellen eine neue Möglichkeit, kosmische Ereignisse zu beobachten. Einige meiner ehemaligen direkten Kollegen von der Stanford-University waren daran beteiligt. Deswegen habe ich auch einen persönlichen Bezug zu der Entdeckung und freue mich besonders über den Erfolg der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler."

Werden wir jetzt bald mit energiereichen Neutrinos unsere Wohnzimmer heizen können?
"Leider taugen die Neutrinos nicht zur Energiegewinnung, denn sie reagieren nur äußerst selten mit der Umgebung. Deswegen werden sie oft auch als 'Geisterteilchen' tituliert. Auf der anderen Seite ist das auch gut so: Ansonsten wären wir durch die Neutrinos einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt."

Wie muss man sich ein Neutrino vorstellen?
"Die Quantenphysik ist sehr abstrakt und schwer zu fassen. Auch Neutrinos machen da keine Ausnahme. Die winzigen Teilchen haben keine vorstellbare Struktur, kaum Masse und keine Ladung und doch rauschen Milliarden der Teilchen sekündlich durch jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche. Neutrinos reagieren wie erwähnt nur ganz selten mit ihrer Umgebung. Um sie sichtbar zu machen, benötigt man sehr, sehr viele von ihnen."

Warum ist es jetzt so entscheidend, eine kosmische Quelle der Neutrinos gefunden zu haben?
"Das tolle an Neutrinos ist, dass sie sich ungehindert durchs Universum bewegen und so Informationen von ihrer Entstehung unbeeinflusst transportieren. Zum Vergleich: Licht wird auf seinem Weg zur Erde teilweise absorbiert und damit verändert. Mit den Neutrinos können wir dagegen unverfälschte Informationen über entfernte Regionen des Weltalls erhalten."

Sie selbst sind Experte für Gammastrahlenemissionen von Supernova-Überresten. Was erwarten Sie von der Neutrinoforschung?
"Wir hoffen, dass die Neutrinos uns - ergänzend zur Gammastrahlenforschung - erzählen können, wo die kosmische Strahlung herkommt. Mit Neutrinos können wir besonders dichte Orte erforschen, die kein Licht durchlassen. Zum Beispiel lassen sie uns in das Zentrum eines aktiven galaktischen Kerns sehen - also in die unmittelbare Umgebung eines Schwarzens Lochs mit der milliardenfachen Masse unserer Sonne. Vielleicht können wir auch dunkle Materie nachweisen."

Sie haben erwähnt, dass für die Forschung eine große Zahl von Neutrinos notwendig sind. Wie will man diese weiter "einfangen"?
"Jetzt wo man mit IceCube die Existenz von Neutrinos nachgewiesen hat, steht die Ausweitung des Projektes an. Es werden zehn Mal so große Detektoren wie bisher benötigt. Die zweite Generation des IceCube-Teleskops ist schon geplant."


Zur Person
Dr. Tobias Jogler ist seit Oktober 2016 am LWL-Planetarium tätig. Er hat in Karlsruhe und Berlin Physik studiert und in München am Max-Planck-Institut zum Thema "Untersuchung von Gammastrahlen-Doppelsternsystemen" promoviert. Danach forschte er als Wissenschaftler in München und lange an der Stanford University in Kalifornien zur Gammastrahlenemission von Supernovaüberresten, mit dem Ziel, die Quellen der kosmischen Strahlung zu identifizieren.


Hintergrund:
Am 12. Juli verkündete die National Science Foundation (NSF) zusammen mit der NASA die Entdeckung der kosmischen Neutrinoquelle. Neutrinos sind besondere Elementarteilchen, die kaum mit ihrer Umwelt interagieren und deshalb nur schwer nachzuweisen sind. Der weltweit größte Detektor ist das IceCube South Pole Neutrino Observatory (kurz IceCube) am Südpol. Die Quellen der Neutrinos erzeugen auch die kosmische Strahlung, die der Wissenschaft bereits seit 1912 bekannt ist. Bisher wusste man allerdings nicht, woher diese Strahlung stammt. Die Neutrinos könnten nun dabei helfen, ein Jahrhunderträtsel zu lösen: sie zeigen ihren Entstehungsort und damit auch die Herkunft der kosmischen Strahlung.

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