28. Juli 2021 / Allgemein

Wo steht Münster 7 Jahre nach dem „Jahrhundert-Regen“?

Hochwasserschutz und Hilfe in betroffenen Gebieten

Kanalstraße

Fotos (Stadt Münster): Hochwasserschutz Aa Kanalstraße


Aachen, Hagen, Wuppertal – zerstörte Existenzen, unermessliches Leid und Bilder einer Naturkatastrophe, die sich einprägen. "Leid lässt sich nicht in Zahlen bemessen", sagt Oberbürgermeister Markus Lewe, "unsere Erfahrungen von 2014 haben uns besonders sensibilisiert. Wir haben damals aber auch erlebt, dass man in schweren Zeiten auf die Unterstützung vieler Menschen bauen kann. Es steht außer Frage, dass Münster helfen wird, wo es nur eben möglich ist."

Damals – das war der 28. Juli 2014, also vor genau sieben Jahren. Das waren 292 Liter Regenwasser pro Quadratmeter binnen weniger Stunden, das so genannte "Jahrhundert-Unwetter" über Münster. Der Vergleich mit den heute betroffenen Gebieten hinkt. Die Folgen sind weitaus dramatischer: Noch mehr Leben und Existenzen wurden vernichtet, ganze Gemeinden stehen vor dem Nichts.

Direkte Hilfe aus Münster
Zahlreiche Münsteranerinnen und Münsteraner haben in den vergangenen Tagen nicht nur Kleider- wie Sachspenden geleistet und mit Geldspenden aus der Ferne unterstützt, sondern auch aktiv vor Ort mit angepackt. Zu den ersten Helfenden in der Städteregion Aachen und Eschweiler gehörte am 14. Juli die Feuerwehrbereitschaft Warendorf/Münster – darunter die Löschzüge Geist, Häger-Uhlenbrock und Kinderhaus, jeweils mit einem Fahrzeug und entsprechender Mannschaft. Weitere Kräfte der insgesamt 20 Einheiten der Freiwilligen Feuerwehr haben sich für eine Ablösung bereitgehalten.

Ihre Betätigungsfelder wurden den 22 Frauen und Männern aus Münster direkt zugeteilt. "In unserem Einsatzbereich hatten wir weder eingestürzte Gebäude, noch vermisste oder tote Menschen zu beklagen", sagt Marc Greshake, Sprecher der Freiwilligen Feuerwehr und selbst vor Ort, "aber der überwiegende Teil der Einsatzstellen war so arbeitsintensiv, dass die Schichten bis zu ihrer Ablösung oft nicht mal einen Straßenzug bewältigt hatten. Vieles ähnelte dem münsterschen Hochwasser von 2014."

600 Tonnen Sperrgut abgefahren
Das bestätigen auch die 25 Mitarbeitenden der Abfallwirtschaftsbetriebe Münster (AWM), die am vergangenen Wochenende umfangreiche Unterstützung in Krisenregionen geleistet haben. In einer gut vorbereiteten Aktion kamen in Hagen und Wuppertal gleich elf münstersche Fahrzeuge (Sperrguttransporte und Hakenlifte) zum Einsatz; die AWM-Kräfte hatten sich schnell zu den arbeitsintensiven Sonderschichten bereiterklärt.
Rund 600 Tonnen Sperrgut wurden am Samstag und Sonntag von den Straßen geholt und abgefahren – also etwa ein Zehntel des münsterschen Jahresschnitts. "Zum Teil sind unsere Anhänger auch von Anwohnenden und Helfenden vor Ort beladen worden", sagt Manuela Feldkamp, Sprecherin der AWM, "die Zusammenarbeit aller Kräfte vor Ort war hervorragend". Aktuell befindet man sich in Abstimmung ob eines möglichen weiteren Einsatzes in Hagen und Wuppertal.

Kanalreinigung über mehrere Tage
Ebenfalls im Hilfseinsatz sind immer noch zwei Mitarbeitende des städtischen Kanalbetriebs – in Swisttal unterstützen sie mit einem Kanalreinigungsfahrzeug und einem Transporter bei der Kanalreinigung. Vorgesehen ist die tatkräftige Unterstützung zunächst bis zur kommenden Woche, weitere Einsatzmöglichkeiten sind in Abstimmung.

Auf selbstlose Hilfe in höchster Not konnte auch Münster nach den Unwettern in 2004 und 2014 vertrauen, die Unterstützung aus anderen Städten und Bundesländern war über Wochen hinweg immens. Trotzdem haben die damaligen Starkregenereignisse Narben in der hiesigen Stadtgesellschaft hinterlassen – selbst ein Jahr nach dem Jahrhundert-Unwetter waren die Folgen noch längt nicht alle bewältigt. Ein vollständiger Schutz vor Wassermassen und schwerwiegenden Folgen ist schlicht nicht möglich.
 
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Die wichtigsten Fragen zum Hochwasserschutz in Münster:
Welche Vorkehrungen gegen Überflutungen hat die Stadt für ihre Bürgerinnen und Bürger getroffen? 
 * Beispiel Gewässer: Die Renaturierung von Gewässern dient neben der Wiederherstellung natürlicher Gewässerauen dem Erosionsschutz sowie dem Hochwasserrückhalt. Aa, Canisiusgraben, Hunnebecke, Igelbach und Edelbach wurden ökologisch verbessert, mit Retentionsräumen (also Überschwemmungsbereichen) versehen, vielfach Durchlässe vergrößert oder Entrohrungen vorgenommen.
 * Beispiel Kanalsanierung: In den am schwersten betroffenen Bereichen wurde die Kanalisation nachberechnet und für folgende Straßen bereits vergrößert: Kanalstraße, Peter-Wust-Straße/Wilhelmstraße, Im Hagenfeld, Eimermacherweg, Ohmweg oder auch Adolf-Reichwein-Straße. Die Reinigung der Straßenabläufe wurden in Folge des 2014er Unwetters deutlich erhöht.
 * Beispiel Ausbau Pumpwerke: Pumpwerke und Kläranlagen wurden umgebaut mit dem Ziel der Erhöhung der Betriebssicherheit bei Starkregen. 
 * Beispiel Überwachung: An einigen problematischen Gewässern (so Igelbach, Hunnebecke und Aa) wurden Pegel eingebaut, die zur Information der Anliegenden dienen, aber auch die Betriebsabläufe stützen. In kritischen Infrastrukturbereichen ist eine Online-Überwachung mit Alarmierungssystem im Aufbau; Messstellen zur Niederschlags- und Durchflussmessung liefern überdies stadtweit verlässliche Ergebnisse. Eine entsprechende Software unterstützt mit diesen Echtdaten die hiesigen Simulationsmodelle und erlaubt realitätsnahe Aussagen zum Überflutungsschutz, die dann wiederum zur weiteren Optimierung der Gegenmaßnahmen beitragen. 
 * Beispiel Baugebiete: Regenwasser-Bewirtschaftungskonzepte bei Neuerschließungen und Nachverdichtungen sorgen nach dem Prinzip der sogenannten "Schwammstadt" dafür, dass Niederschlagswasser versickern und verdunsten oder auch verzögert oberflächig abfließen und in Mulden zwischengespeichert werden kann – somit nicht direkt in den Kanal abgeleitet wird. "Diese Konzepte entzerren das Ungleichgewicht zwischen den Extremwetterlagen und verbessern das Mikroklima", sagt Berthold Reloe vom Amt für Mobilität und Tiefbau. Beispielhaft seien hier die Konversionsflächen auf dem Gelände der Oxford-Kaserne genannt. Auch das neue Wohnquartier auf dem ehemaligen Beresa-Grundstück an der Weseler Straße verfügt über genannte und so vorgeplante Retentionsräume.
 * Beispiel Kooperationen: Über verschiedene Projekte (Bsp.: "Wasserrobuste Städte") und Klimapartnerschaften erfolgt ein steter Austausch zum aktuellen Stand der Forschung und zur möglichen Anpassung an Extremwetterlagen.
 Darüber hinaus werden von der Bezirksregierung Münster Hochwasseraktionspläne für Ems und Werse aufgestellt, mit deren Hilfe Hochwasserinformationen besser fließen können, Schadensrisiken und Hochwasserstände gemindert werden.
 Und: Auf Grundlage der Klimaveränderungen werden wie berichtet weitere Investitionen in der Stadtentwässerung getätigt – bis zum Jahr 2026 rund 360 Millionen Euro.

Weshalb ist kein Rundumschutz möglich?
 Kanäle sind auf so große Wassermassen, wie sie etwa 2014 auftraten, nicht ausgelegt. Sind Kanäle aufgrund von Starkregenereignissen in kurzer Zeit überfüllt, suchen sich Wassermassen insbesondere auf trockenem Boden ihren Weg. Unwetterwarnungen erfolgen zumeist nur sehr kurzfristig. Daher sollen Vorkehrungen getroffen werden, die mögliche Schäden mindestens mindern können.

Wann ist das münstersche Kanalsystem überfordert? 
 Mehrere Faktoren beeinflussen die Kapazität: Regenmenge, Regendauer und die akute Intensität beispielsweise. "Ein schweres Regenereignis, das statistisch alle drei Jahre fällt, muss ohne Probleme abgeleitet werden können", sagt Berthold Reloe, "das ist der grundsätzliche Maßstab". Tritt ein solch außergewöhnliches Regenereignis wie in der vergangenen Woche ein – dieses wird statistisch alle zehn Jahre erwartet – und ist die Kanalisation ausgelastet, "darf" das Wasser zwar auf der Straße stehen, aber keine großen Schäden auf den Grundstücken verursachen. "Dies war in Münster der Fall, wir hatten also einen recht guten Plausibilitätscheck", so Reloe. Klar ist damit aber auch, dass nicht jedes Regenereignis schadlos durch die Kanalisation abgeleitet werden kann.

Welche weiteren Maßnahmen hat die Stadt Münster in Planung?
 Neben den bereits erwähnten Maßnahmen befindet sich derzeit ein Gesamtkonzept zur Neugestaltung der Innenstadt-Aa in Arbeit. Stadtweit werden Uferwände auf Schwachstellen überprüft – etwaige Bedarfe fließen in die weiteren Planungen mit ein. Derzeit entstehen zur Gefahrenabwehr umfangreiche "Starkregengefahrenkarten", die mittelfristig eine Risikobewertung für das Stadtgebiet ermöglichen werden. Diese dienen einerseits zur Information, sollen andererseits aber auch Grundlage entsprechender Gegenmaßnahmen sein. Ein Beispiel: Werden in einem Kanal absehbar Kapazitätsgrenzen erreicht und droht eine Überflutung, sollen Wassermassen in Bereiche umgeleitet werden, wo erwartbare Schäden weniger stark ausfallen. Langfristig sollen grundstücksscharfe Einschätzungen möglich sein und damit auch bestmögliche Schutzmaßnahmen definiert werden können. Die Vorgabe ist eine "wassersensible Stadtgestaltung". 
 Darüber hinaus arbeitet die Stadt mit aufwändigen Simulationen und der Unterstützung von 2D-Modellierungen. Künftig sollen Bauwerke auch via 3D-Scan in diese Simulationen eingepflegt werden, um so noch genauere Ergebnisse zur Leistungsfähigkeit und Steuerungsmöglichkeit der Entwässerungssysteme zu liefern.

Wo ist das Hochwasserrisiko in Münster am höchsten?
 Das höchste Risiko einer folgenschweren Überflutung liegt in der Innenstadt an der Aa. Des Weiteren verstärkt sich das Hochwasserisiko laut Prognosen auch an den Fließgewässern Angel (Angelmodde), Ems (Handorf), Kinderbach (Kinderhaus, Stadt), Aa (St. Mauritz) und Werse (Angelmodde, Handorf, St. Mauritz, Wolbeck) sowie Piepenbach (Wolbeck). Jedoch können auch dann, wenn Wassermassen durch lokalen Starkregen wie 2014 zustande kommen, Gebiete ohne unmittelbare Nähe zu Fließgewässern betroffen sein.

Wo kann ich mich über den Schutz meines Grundstücks und zu Überschwemmungsgebieten in Münster informieren?
 Die städtischen Fachleute für Haus- und Grundstücksentwässerung beraten kostenfrei – Termine können telefonisch unter der Nummer 02 51/4 92-66 41 oder per E-Mail unter grundstuecksentwaesserung@stadt-muenster.de angefragt werden. Außerdem stellt die Stadt Münster eine interaktive Karte des Umweltkatasters mit Informationen zu gesetzlichen Überschwemmungsgebieten, aber auch vielen weiteren Umwelt- und Klima-Themen (so beispielsweise Landschaftsschutzgebiete, Bodenfilterfunktionen, Belüftungskorridore etc.) zur Verfügung. Diese Anzeige kann individualisiert werden und ist abrufbar unter 
https://geo.stadt-muenster.de/webgis/application/Umweltkataster?visiblelayers=479/4740
Die Bezirksregierung Münster hat einen Kommunensteckbrief mit Detail-Informationen veröffentlicht:
 https://www.flussgebiete.nrw.de/kommunensteckbriefe-regierungsbezirk-muenster-8415

Welchen Beitrag können Bürgerinnen und Bürger zum Eigenschutz leisten?
 Begrünte Dachflächen, Muldenrigolen, Teiche, Regenrückhaltebecken oder Zisternen auf dem Privatgrundstück können den Ablauf des Regenwassers verzögern, dieses speichern – und bieten so die Möglichkeit zur Verdunstung oder langsamen Versickerung. Eine wirksame Methode, sich gegen eine Überflutung des Kellers aus der Kanalisation zu schützen, ist der Einbau einer Abwasserhebeanlage oder einer Rückstausicherung – diese hilft nicht nur bei Starkregenereignissen, sondern auch im Falle verstopfter Kanäle. Darüber hinaus ist der Abschluss einer Elementarschutzversicherung unbedingt zu prüfen. Weitere Informationen, einen Erklärfilm und Kontaktmöglichkeiten finden sich unter  
 https://www.stadt-muenster.de/tiefbauamt/abwasser/rueckstau 
 Weitere Maßnahmen, die zur Vorsorge gegen Starkregen sinnvoll sind, und Empfehlungen wie man sich während eines Starkregens verhalten sollte, gibt es unter 
https://www.stadt-muenster.de/klima/klimaanpassung/starkregenvorsorge

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