20. Mai 2022 / Aus aller Welt

Wiesendanger darf Drosten keine gezielte Täuschung vorwerfen

Nanowissenschaftler Roland Wiesendanger glaubt nicht an einen natürlichen Ursprung des Coronavirus - und kritisiert Christian Drosten heftig. Er sei dabei zu weit gegangen, stellt ein Gericht fest.

Der Berliner Virologe erzielt vor Gericht einen Erfolg gegen Behauptungen von Roland Wiesendanger.

Im Streit um den Ursprung des Coronavirus darf der Nanowissenschaftlers Roland Wiesendanger dem Virologen Christian Drosten keine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit vorwerfen.

Nach einer mündlichen Verhandlung bestätigte das Landgericht Hamburg eine entsprechende einstweilige Verfügung vom 14. März. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Wiesendanger hat angekündigt, er werde im Fall einer Niederlage Berufung beim Hanseatischen Oberlandesgericht einlegen.

Umstrittenes Interview

Der Wissenschaftler von der Universität Hamburg hatte den Vorwurf in einem Interview des Magazins «Cicero» erhoben, das am 2. Februar dieses Jahres unter der Überschrift erschienen war: «Stammt das Coronavirus aus dem Labor? - "Herr Drosten hat Politik und Medien in die Irre geführt"». Dabei bezog sich Wiesendanger vor allem auf einen offenen Brief, den 27 Virologen am 19. Februar 2020 in der Fachzeitschrift «The Lancet» veröffentlicht hatten. Darin wiesen sie die Behauptung, das Virus habe keinen natürlichen Ursprung, als Verschwörungstheorie zurück. Nach Erscheinen des Interviews in «Cicero» hatte Drosten Wiesendanger abgemahnt und die einstweilige Verfügung erwirkt.

Der Anwalt des Nanowissenschaftlers, Lucas Brost, hatte in der Verhandlung an das Gericht appelliert, die Tragweite der Diskussion zu berücksichtigen. «Das die Bevölkerung meistbewegende Thema der letzten zwei Jahre muss in maximaler Meinungsfreiheit diskutiert werden», sagte er. Wiesendanger selbst forderte den nicht anwesenden Drosten auf, er müsse erklären, auf welcher Grundlage er damals die Labortheorie habe ausschließen können. Nach seiner eigenen Überzeugung sprechen viele Indizien dafür, dass Sars-CoV-2 durch einen Laborunfall am virologischen Institut in der chinesischen Stadt Wuhan entstanden ist.

«Gab keinen Ausschluss der Laborthese»

Drostens Anwalt Gernot Lehr versicherte, sein Mandant führe diese Diskussion in aller Breite. «Es gab zu keinem Zeitpunkt einen Ausschluss der Laborthese.» Drosten habe nur mehr Punkte für die These vom natürlichen Ursprung gesehen. Lehrs Kollege Stephan Schuck erklärte, man müsse den Zeitpunkt des «Lancet»-Beitrags beachten: «Zwischenzeitlich hat sich Herr Drosten sehr ausgewogen geäußert.»

Nach Ansicht des Gerichts fehlt für den Vorwurf, Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt - also vorsätzlich und wider besseren Wissens - getäuscht, die Grundlage. Der Virologe habe erklärt, dass weder die Laborthese noch die These eines natürlichen Ursprungs widerlegt oder bewiesen werden könne. Es spreche nur mehr für die letztere Annahme. Der offene Brief in «The Lancet» genüge nicht, um den Vorwurf zu begründen, sagte der Vorsitzende Richter Florian Schwill. «Da fehlt es an hinreichenden Anknüpfungspunkten.»

Ursprünglich war Drosten nach Angaben des Richters gegen sechs Äußerungen von Wiesendanger vorgegangen. Aber in nur zwei weiteren Fällen war der Virologe erfolgreich: Zum einen darf der Nanowissenschaftler vorerst nicht mehr behaupten, die Festlegung der Virologen im Februar 2020 auf einen natürlichen Ursprung habe «jeglicher» Grundlage entbehrt. Dass es damals gar keine Grundlage für die These vom natürlichen Ursprung gegeben habe, sieht das Gericht nicht belegt.

Ferner darf Wiesendanger nicht wiederholen, dass die von Drosten unterstützte Initiative «Scientists for Science» das Ziel verfolgt habe, die virologische Forschung frei von Beschränkungen zu halten.

Von der Klärung des Corona-Ursprungs hängt nach Ansicht von Wiesendanger ab, was die Welt unternehme, um eine Wiederholung einer solchen Pandemie zu verhindern. Sollte sich die Zoonose-These von einem tierischen Ursprung durchsetzen, werde es sehr viel mehr Forschung auf diesem Gebiet geben, erklärte er vor Gericht. Sollte sich dagegen bestätigten, dass ein Laborunfall zur Corona-Pandemie führte, werde wie nach den Katastrophen von Tschernobyl und Fukushima ein öffentlicher Druck entstehen, auf besonders gefährliche Forschung zu verzichten.


Bildnachweis: © Kay Nietfeld/dpa
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