15. August 2024 / Aus aller Welt

Urteil: Lebenslang im Mordprozess ohne Leiche

Bis heute fehlt die Leiche, doch der Vorsitzende Richter ist überzeugt: Alle Indizien sprechen gegen den Angeklagten, alle Behauptungen sind widerlegt. Die Verteidiger sehen das anders.

Dem jetzt verurteilten Vater von zwei Kindern saß vor der Tat der Gerichtsvollzieher im Nacken.

Gekleidet mit Jeans und Jackett betritt er den Gerichtssaal, die Haare sind sehr kurz geschoren, seine Habseligkeiten trägt der 38-Jährige in einer Plastikhülle. Äußerlich unbewegt nimmt der Mann wenig später sein Urteil am Landgericht Bielefeld entgegen: Lebenslang für Mord aus Habgier. Im Herbst 2023 soll er einen 66 Jahre alten Unternehmer aus Ostwestfalen wegen finanzieller Sorgen getötet haben. Das Problem: Bis heute fehlt die Leiche. 

Nach der sicheren Überzeugung des Gerichts habe der Indizienprozess eindeutig gezeigt, dass der Angeklagte den Unternehmer aus Hüllhorst in Ostwestfalen vor knapp einem Jahr getötet habe, sagte der Vorsitzende Richter Sven-Helge Kleine in der Urteilsbegründung. 

Strenge Anforderungen an Beweiswürdigung

Kleine wies nochmals auf die besondere Situation hin. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann der Tod eines Menschen auch ohne Leiche rechtsfehlerfrei festgestellt werden. Für ein Urteil legt der BGH bei einem Indizienprozess aber strenge Anforderungen an die Beweiswürdigung. Die seien in diesem Fall erfüllt, sagte Kleine. 

Im Ausschlussverfahren habe das Gericht mögliche Alternativen geprüft. Der Angeklagte hatte in seinem letzten Wort nochmals bestritten, mit dem Tod des 66-Jährigen etwas zu tun zu haben. Nach seiner Überzeugung lebt der Unternehmer heute im Ausland und lässt es sich gut gehen oder hat Suizid begangen. «Das ist alles im Prozess widerlegt worden», sagte der Vorsitzende Richter. Es sei bewiesen, dass der 38-Jährige aus Finanznot im Herbst 2023 getötet habe, um an die Immobilien und den Besitz des Unternehmers zu kommen. 

Der Unternehmer sei eindeutig hinter einer Maschine in der Werkshalle getötet worden. Nur die Todesart sei offen. Dort hatte ein Leichenspürhund angeschlagen und die Spurensicherung hatte Blutreste, die Brille des 66-Jährige sowie einen Handabdruck des 38-Jährigen entdeckt. 

Gerichtsvollzieher im Nacken

Dem jetzt verurteilten Vater von zwei Kindern saß vor der Tat der Gerichtsvollzieher im Nacken. Für ein vor Jahren gekauftes Haus hatte er oder seine Schwiegermutter den Kaufpreis nicht wie vereinbart überwiesen. Die Räumungsklage lief. Der 38-Jährige wusste nicht mehr, wo seine Familie wohnen und wo er gelagerte Dinge unterbringen sollte. Heizöl hatte er sich liefern lassen, aber nicht bezahlt. Wegen Betruges wurde er verurteilt. Der Ungelernte war schlicht pleite. 

Da stieß er auf Anzeige des Unternehmers aus Hüllhorst. Er bot sein Unternehmen für 1,2 Millionen Euro im Internet an. Laut Gericht war der Mann erfolgreich, hatte keine Geldsorgen und einen teuren Sportwagen. «Er protzte mit seinem Reichtum», sagte Klein in der Urteilsbegründung. Er habe allerdings auch ein Alkoholproblem gehabt und sei im Umgang nicht leicht gewesen. Seinen Lebensabend wollte er in Bulgarien verbringen. Für einen Suizid oder eine überstürzte Abreise spreche nichts, so das Gericht. Ganz im Gegenteil: Der Unternehmer habe Flugangst gehabt, sei verlässlich gewesen und habe ständig Kontakt zu dem Menschen in seinem Umfeld gehalten. «Es gab noch aktuelle Geschäfte mit Lieferanten», führte das Gericht aus. 

Keine Hinweise bei Fahndung

Das alles spreche gegen die These des Angeklagten, dass der Mann noch in Saus und Braus im Ausland lebe oder sich umgebracht habe. Europaweit laufe nach dem mutmaßlich Toten eine Fahndung. «Bislang gibt es keine Hinweise», sagt Kleine. Dafür lassen die von der Polizei gesicherten Spuren nur einen Schluss zu: «Sie haben das Opfer zuletzt gesehen», sagte der Vorsitzende Richter zum Angeklagten. 

In den Niederlanden tauchte später auch der teure Sportwagen des Unternehmers auf. Auch hier fanden die Ermittler Spuren auf den jetzt Verurteilten. Außerdem hatte er den passenden Autoschlüssel, den Kfz-Schein des Sportwagens, Kreditkarte, Reisepass und einen bulgarischen Personalausweis des mutmaßlichen Opfers.

Unterschriften des Toten auf einem Kaufvertrag und einem Zettel hatte der 38-Jährige laut einem Schriftgutachter gefälscht. «Wenn jemand anderes den Unternehmer getötet haben sollte, hätte er alle Spuren auf sie lenken müssen. Unwahrscheinlich», sagte Kleine zum Abschluss. 

Verteidiger kündigen Revision an

Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Verteidiger des Deutschen kündigten direkt nach der Urteilsverkündung noch im Gerichtssaal an, den Schuldspruch per Revision durch den Bundesgerichtshof überprüfen zu lassen.


Bildnachweis: © Carsten Linnhoff/dpa
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