4. Februar 2022 / Aus aller Welt

Tödliche Gewalt gegen Frauen

Wenn sich Frauen nach einer Mord-Drohung ihres Partners an den Staat wenden, reagiert dieser nach Einschätzung des Weißen Rings oft hilflos. Wie Frauen geschützt werden können, zeigt ein Projekt.

«Wir merken bei der telefonischen Beratung eine Zunahme von häuslicher Gewalt».

Der Fall einer 39 Jahre alten Frau und ihres vierjährigen Sohns erschüttert: Der Ex-Partner der Frau lauert ihr und dem gemeinsamen Kind trotz eines Kontaktverbots auf, stoppt ihr Auto mit seinem Wagen, schlägt die Scheibe ein und ersticht erst die Frau und anschließend den Sohn.

Kein Einzelfall: «Alle drei Tage wird in Deutschland eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet», sagt der Präsident des Weißen Rings und ehemalige Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Ziercke. Immer wieder sind auch Kinder betroffen. Die meisten Täter kündigten ihre Tat vorher an.

In einem Brandbrief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), die Regierungschefs der Länder sowie zahlreiche Bundes- und Landesminister fordert Ziercke, dringend etwas gegen diese Partnerschaftsgewalt an Frauen zu unternehmen. Unter den rund 70 Adressaten seines «Anliegens von höchster Dringlichkeit» ist auch die neue Bundesfamilienministerin Anne Spiegel.

«Wir brauchen dringend eine bundesweite Regelung»

Als Landesministerin hat die grüne Politikerin das schon 2000 ins Leben gerufene rheinland-pfälzische Interventionsprojekt gegen Gewalt in engen sozialen Beziehungen (RIGG) weiterentwickelt - nach Einschätzung Zierckes ein «beispielhaftes» Projekt. «Wir brauchen dringend eine bundesweite Regelung, damit in Deutschland insgesamt auf diesem Niveau gearbeitet wird», schreibt er.

Wenn die Polizei in Rheinland-Pfalz wegen Gewalt in einer Beziehung gerufen wird, schreitet sie nicht nur ein, sondern gibt im Anschluss mit Hilfe eines Fragebogens eine Gefährdungseinschätzung ab. «Dafür gibt es standardisierte Fragebögen», berichtet die Leiterin des Frauenhauses und der Interventionsstelle Bad Kreuznach, Petra Wolf. Gefragt wird etwa, ob es früher schon Gewalt gab, ob der Täter Mord-Drohungen ausgesprochen hat, ob er Waffen eingesetzt hat, oder ob er die Frau permanent kontrolliert. «Wenn eine bestimmte Punktzahl erreicht ist, wird der Fall als Hochrisikofall eingestuft.»

Gewalt in Partnerschaften während der Pandemie gestiegen

Die Frau wird dann gefragt, ob die Daten mit anderen Behörden geteilt werden dürfen - also etwa einer Interventionsstelle zum Schutz vor Gewalt oder dem Jugendamt. «Der Datenschutz ist eine große Herausforderung, wenn die Frau nicht zustimmt, geht es nicht.» Wenn doch, gibt es Fallkonferenzen der Fachleute - organisiert von der Polizei. «Es werden Einschätzungen ausgetauscht und nächste Aktionen überlegt», berichtet Wolf. Das kann eine Täteransprache sein, oder die Aufforderung an einem Anti-Gewalt-Training teilzunehmen. Auch Angebote des Jugendamts für die Kinder gehören dazu. «Das Risiko von Kindern, die Gewalt erleben, später selbst Täter oder Opfer zu werden, ist sehr hoch.»

Die Gewalt in Partnerschaften und Familien ist nach Zierckes Einschätzung während der Pandemie noch deutlich gestiegen. «Wir merken bei der telefonischen Beratung eine Zunahme von häuslicher Gewalt», berichtet auch Wolf. «Das wird sich in den nächsten drei bis vier Jahren in den Frauenhäusern bemerkbar machen.» Denn im Durchschnitt vergingen sieben Jahre bis eine Frau den Ausstieg aus einer Gewaltbeziehung schafft. Corona sei für viele Frauen auch eine Entschuldigung für Gewalt des Partners, nach dem Motto: «Sonst ist er nicht so.»

«Es geht in erster Linie um Sicherheit für die Betroffenen»

Das Hochrisikomanagement begann 2015 mit einem Pilotprojekt, heißt es im Familienministerium in Mainz. Seit 2018 seien die Fälle ständig gestiegen, auf 521 im Jahr 2020. Die Rückfallwahrscheinlichkeit nach einer fachübergreifenden Fallkonferenz liege einer projektbegleitenden Studie der Uni Koblenz-Landau von 2016 zufolge bei rund 20 Prozent, in den anderen Fällen bei 42 Prozent.

«Es geht in erster Linie um Sicherheit für die Betroffenen», sagt Wolf. Dabei müsse auch eingeschätzt werden, welche Folgen eine mögliche Intervention von Polizei und Jugendamt für die Frau und das Verhalten des Täters hat. Eine Geldstrafe für den Täter etwa sei oft problematisch, weil der Familie dann Geld fehle, oder die Frau gezwungen werde, das Geld aufzutreiben. Bei den Konferenzen werde Protokoll geführt und genau festgelegt, wer bis wann welche Schritte einleiten müsse, außerdem müsse es Rückmeldung geben. «Eine einzelne Tat kann für Außenstehende harmlos erscheinen», weiß Wolf. «Wenn man sie mit der Dynamik über die Jahre in Verbindung bringt, kann man sehen, wo es gefährlich wird.»

Durch die Hochrisiko-Konferenzen würden die Beratungs- und Hilfenetzwerke enger. «Das wirkt sich auch auf Nicht-Hochrisiko-Fälle aus», berichtet Wolf. Die rheinland-pfälzische Familien- und Frauenministerin Katharina Binz (Grüne) sagt: «Das Erfolgsgeheimnis von RIGG ist das Netzwerk, das über Jahre aufgebaut wurde.» Das Projekt werde ständig weiterentwickelt und etwa die Plätze und Angebote in den Frauenhäusern aufgestockt.


Bildnachweis: © Maurizio Gambarini/dpa/Symbolbild
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