23. Juni 2023 / Aus aller Welt

Das tragische Ende der «Titan»-Suche

Das tagelange Bangen um die Menschen an Bord des Tauchboots «Titan» ist einer traurigen Gewissheit gewichen: Die fünf Männer sind längst tot. Doch was ist genau geschehen? Und wie geht es jetzt weiter?

Das «Titan»-Tauchboot des Unternehmens Oceangate Expeditions.

Gerade einmal knapp 500 Meter vom Bug der «Titanic» entfernt wurden die Trümmerteile des Tauchboots «Titan» entdeckt. Hoffnungen, die fünf Männer an Bord noch lebend zu finden, waren damit umgehend zerschlagen. Alles deutet darauf hin, dass der Rumpf des Boots dem enormen Wasserdruck nachgegeben hat und implodiert ist. Manche Fragen sind jetzt endgültig geklärt, viele Fragen sind noch immer offen.

Wann geschah das Unglück?

Der genaue Zeitpunkt des Unglücks ist noch unbekannt. Sonarbojen hätten kein «katastrophales Ereignis» wahrgenommen, teilte die Küstenwache mit. US-Medien zufolge registrierte aber ein akustisches Unterwassererkennungssystem der US-Navy bereits am Sonntag ein auffälliges Geräusch. Das könnte darauf hinweisen, dass die «Titan» bereits implodiert war, als das Mutterschiff keinen Kontakt mehr herstellen konnte.

Dem Hollywood-Regisseur und Tiefsee-Entdecker James Cameron zufolge spricht aber auch der Fundort der Trümmer dafür, dass das Unglück bereits unmittelbar beim Kontaktabbruch geschah, als das Tauchboot noch unterwegs zum «Titanic»-Wrack war. Grund sei, dass nicht nur die Kommunikation mit der «Titan» abbrach, sondern das Boot gleichzeitig auch nicht mehr habe geortet werden können. «Das einzige Szenario, das mir in den Sinn kam und das dies erklären konnte, war eine Implosion», sagte Cameron am Freitag dem Sender CNN.

Was haben die Insassen von der Implosion mitbekommen?

Die Insassen des «Titan»-Tauchboots haben Experten zufolge von der Implosion ihres Gefährts nichts mehr mitbekommen. Der Druck auf das Tauchboot sei in so großer Tiefe enorm gewesen - die Implosion sei im Bruchteil einer Millisekunde passiert, zitierte der Sender CNN am Freitag Ex-Marineoffizierin Aileen Marty, eine Professorin für Katastrophenmedizin. Das menschliche Gehirn könne die Lage so schnell gar nicht erfassen. «Das ganze Ding ist kollabiert, bevor die Menschen darin überhaupt bemerken konnten, dass es ein Problem gab», betonte Marty. «Letztlich ist dies mit Blick auf die vielen Möglichkeiten, auf die wir sterben können, schmerzlos.»

Warum ist das U-Boot implodiert?

Bei einer Implosion bricht ein Objekt schlagartig zusammen, wenn der Außendruck größer ist als der Innendruck. Sie steht im umgekehrten Kräfteverhältnis zu einer Explosion. Schon der kleinste strukturelle Defekt kann in großer Tiefe eine solche Katastrophe auslösen.

Erkenntnisse darüber dürften sich die Experten durch die entdeckten Trümmerteile erhoffen. Während Personal und Schiffe nun vom Unfallort abgezogen werden, soll die Operationen auf dem Meeresboden zunächst fortgesetzt werden, teilte die US-Küstenwache mit. Im Moment konzentriere man sich darauf, den Ort zu dokumentieren. Die Daten würden analysiert. Die «Titanic» liegt in rund 3800 Metern Tiefe auf dem Meeresgrund.

Im Einsatzgebiet rund 700 Kilometer südlich der kanadischen Insel Neufundland hatten Trupps aus den USA und Kanada mit Hilfe weiterer Länder seit Verschwinden des Boots am Sonntag eine großangelegte Suche sowohl an der Wasseroberfläche als auch in der Tiefe des Ozeans gestartet. Im Einsatz waren Schiffe, Flugzeuge, Tauchroboter und andere Spezialausrüstung.

Können die Leichen geborgen werden?

An Bord der «Titan» waren der Franzose Paul-Henri Nargeolet (77), der britische Abenteurers Hamish Harding (58), der britisch-pakistanische Unternehmensberater Shahzada Dawood (48) und dessen 19-jähriger Sohn Suleman sowie der Chef der Betreiberfirma Oceangate, Stockton Rush (61), der das Boot steuerte. Auf die Frage, ob ihre Leichen der geborgen werden könnten, gab es zunächst keine Antwort. Es handele sich in der Gegend des «Titanic»-Wracks um eine «unglaublich erbarmungslose Umgebung», teilte die Küstenwache lediglich mit. Ob sie damit andeutete, dass die Körper durch die Implosion zerstört wurden oder ob sie sich auf Schwierigkeiten bei der Bergung bezog, blieb unklar.

Hätte das Unglück vermieden werden können?

Nach Angaben verschiedener Experten hatten die Entwickler und Betreiber des Tauchboots, die Firma Oceangate, anerkannte Standards umgangen und Warnungen missachtet. Medienberichten zufolge warnte schon 2018 ein Brief der Organisation Marine Technology Society (MTS) vor dem experimentellen Charakter des touristischen Angebots, und dass die Fahrten in einer Katastrophe enden könnten. Auch ein ehemaliger Oceangate-Mitarbeiter soll bereits vor fünf Jahren Sicherheitsbedenken geäußert haben.

«Titanic»-Regisseur James Cameron sieht gar Parallelen zur Katastrophe des Jahres 1912. «"Titan", "Titanic", wissen Sie, der Größenwahn, die Arroganz. Das ist alles wieder da», sagte Cameron der BBC in einem am Freitag ausgestrahlten Interview. «Es ist eine große Ironie, dass da jetzt ein weiteres Wrack neben der "Titanic" liegt, und zwar aus dem gleichen Grund» - weil die Warnungen nicht beachtet worden seien, sagte Cameron.

Das Unternehmen äußerte sich laut BBC zunächst nicht zu den Vorwürfen. Oceangate Mitbegründer Guillermo Söhnlein verwies im Gespräch mit dem Radiosender BBC 4 auf die 14-jährige Entwicklungsdauer der «Titan». Wer daran nicht beteiligt gewesen sei, dürfe sich kein Urteil anmaßen, so Söhnlein, der nicht mehr aktiv in dem Unternehmen ist, aber noch Anteile daran hält.

Welche Konsequenzen hat die Katastrophe?

Die Erforschung der Tiefsee in internationalen Gewässern, in denen die «Titan» unterwegs war, ist weitgehend unreguliert, wie der Meereskunde-Experte Simon Boxall von der University of Southampton der BBC sagte. Spekuliert wird nun, dass sich dies infolge der «Titan»-Tragödie ändern könnte.

Und der Chef der auf «Titanic»-Ausstellungsstücke spezialisierten Firma White Star Memories, David Scott-Beddard, sagte dem Sender CNN: «Es wird sicherlich eine Untersuchung nach dieser Katastrophe geben, und deutlich striktere Regeln und Vorschriften werden eingeführt werden.»


Bildnachweis: © OceanGate Expeditions/AP/dpa
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