31. Januar 2022 / Aus aller Welt

Pandemie bremst Krebsfrüherkennung und Nachsorge aus

Nicht selten müssen Tumorpatienten Covid-Kranken bei Intensivbetten und Personal den Vortritt lassen. Aber die Corona-Pandemie bremst auch die Früherkennung und Nachsorge - mit gravierenden Folgen.

In der Mammographie ist ein winziger Tumor in der Brust einer Patientin zu sehen.

Die Corona-Pandemie beeinträchtigt nicht nur die akute Versorgung von Krebspatienten, sondern hinterlässt nach Meinung von Experten auch Defizite in der Früherkennung und Nachsorge.

«Da werden wir in ein, zwei Jahren noch eine schwierige Situation erleben», meint Susanne Weg-Remers vom Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) in Heidelberg. Sie habe Verständnis für die Zurückhaltung, wenn man nur zur Vorsorge in eine Praxis oder ein Krankenhaus gehen soll. «Aus Angst vor Ansteckung nehmen etliche Menschen die Krebsfrüherkennung nicht wahr.» So würden Mammografie und Darmspiegelungen deutlich weniger genutzt als vor der Pandemie.

Der Präsident der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG), Thomas Seufferlein, gibt Zögernden Entwarnung: «Die Mehrzahl der Corona-Infektionen passiert nicht in Kliniken und Praxen, sondern im privaten Bereich, weil man dort eher auf Schutzmaßnahmen verzichtet.»

Früherkennung für viele kein Thema

Dabei hilft die Krebsfrüherkennung aus Sicht der beiden Experten, Tumore zu erkennen, wenn noch eine gute Chance auf Heilung besteht. «Da sind auch schon Vorstufen zu erkennen», erläutert Weg-Remers. Dies gelte insbesondere für Darm- und Gebärmutterhalskrebs. Doch diese Vorteile fielen für manche Menschen weniger stark ins Gewicht als das Risiko einer Corona-Ansteckung. «Wir werden es in den kommenden Jahren mit mehr fortgeschrittenen Krebserkrankungen zu tun haben», ist die Medizinerin sicher.

Viele Deutsche nehmen ohnehin Angebote zur Früherkennung nicht wahr. Laut AOK ist ein relevanter Teil ihrer anspruchsberechtigten Versicherten über einen Zeitraum von zehn Jahren von der Krebs-Früherkennung noch nicht oder nur begrenzt erreicht worden. Und während der Pandemie kam es laut der Krankenkasse zu Einbrüchen bei der Krebsfrüherkennung, die gesundheitliche Folgen befürchten ließen. Besonders starke Rückgänge um fast 20 Prozent waren 2020 bei der Früherkennung von Hautkrebs zu verzeichnen, bei Anfang 2021 weiter rückläufigem Trend. Rückgänge der Teilnahmequoten im Vergleich zu 2019 von je 8,1 Prozent wurden beim Mammografie-Screening und bei der Prostatakrebs-Früherkennung festgestellt. Bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs waren es minus 5,5 Prozent.

Mehr verspätete Diagnosen

Die Barmer bestätigt einen ähnlichen Trend: Operative Eingriffe bei Krebs gingen laut der Krankenkasse 2020 um 26,3 Prozent zurück. Strahlentherapien verzeichneten ein Minus von 28 Prozent. Auch 2021 sei der Stand vor Corona nicht wieder erreicht worden, meint Ursula Marschall, leitende Medizinerin der Barmer. In Bezug auf die Früherkennung geht sie davon aus, dass 71.000 Menschen in Deutschland keine oder eine verspätete Krebsdiagnose erhielten, darunter 11.000 Brustkrebspatientinnen und 9000 Menschen mit Melanomen. Marschall resümiert: «Wir gehe davon aus, dass die Krebssterblichkeit dadurch deutlich steigt.»

Bei einer von der AOK in Auftrag gegebenen Forsa-Befragung gab im Mai 2021 jeder Fünfte an, dass er wegen Corona nicht zu einem oder zu mehreren Krebs-Vorsorgeuntersuchungen gehen konnte oder wollte.

Auch DKG-Präsident Seufferlein verweist auf die gesunkene Früherkennung: «Menschen meiden nicht nur aus Angst vor Corona-Infektionen die Krebsvorsorge, sondern weil sie das Gesundheitssystem nicht zusätzlich belasten wollen.» Gerade bei häufigen Krebsarten wie Brust-, Darm- und Eierstockkrebs sei die Inanspruchnahme von Früherkennung am Anfang der Pandemie verringert gewesen.

Auch die Nachsorge leidet unter Corona

Der langjährige Onkologe Andreas Schalhorn appelliert an jeden und jede mit dem kleinsten Verdacht auf einen Tumor, diese Frage trotz Corona zu klären: «Die Abklärung sollte unter keinen Umständen aufgeschoben werden.» Der Mediziner aus München rät zu einer vollständigen Corona-Immunisierung, um ein mögliches Risiko einer Ansteckung bei den Untersuchungen zu minimieren.

Aber auch bei der Krebsnachsorge laufe es nicht rund, sagt Seufferlein, ärztlicher Direktor Innere Medizin der Uniklinik Ulm. «In den Gipfeln der Pandemie ist auch die Zahl der Nachsorge-Patienten um 30 Prozent gesunken.» Das sei bedauerlich, sei doch Nachsorge - also eine fortlaufend medizinische und psychosoziale Unterstützung - in den ersten fünf Jahren nach Entfernen eines Tumors sehr wichtig, danach nehme das Risiko eines Rückfalls deutlich ab. Laut Weg-Remers wurden bei den Krebszentren der Unikliniken in Deutschland im Dezember 2021 ein Viertel weniger Krebsnachsorge-Termine ausgemacht als vor der Pandemie.

Die Rückgänge bei den Diagnosen schlagen sich auch in einem Rückgang der Krebsoperationen nieder. So zeigt sich auf Basis der AOK-Abrechnungsdaten im Pandemie-Zeitraum von März 2020 bis Juli 2021 ein Rückgang der Zahl der Darmkrebs-Operationen um 13 Prozent, bei den Brustkrebs-Operationen um 4 Prozent im Vergleich zu 2019. Dies kann sich der AOK zufolge mittelfristig in einem größeren Anteil höherer Schweregrade bei den Erkrankungen zeigen - und so auf die Sterblichkeit auswirken. Krebs ist die zweithäufigste Todesursache in Deutschland: Über 231.000 Menschen starben im Jahr 2020 daran.


Bildnachweis: © Jan-Peter Kasper/dpa-Zentralbild/dpa
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