14. Dezember 2023 / Aus aller Welt

Narbe im Paradies: Maya-Zug rollt durch Mexikos Regenwald

Strand, Ruinen, Urwald: All das gibt es entlang der Trasse der neuen Touristenbahn in Mexiko. Umweltschützer kritisieren das Mammut-Projekt auf der Halbinsel Yucatán.

Der Zug wird zunächst zwischen San Francisco de Campeche am Golf von Mexiko und Cancún in der Karibik fahren.

Höhlenforscher Roberto Rojo kennt den Dschungel gut, aber was er derzeit auf der mexikanischen Halbinsel Yucatán sehen muss, gefällt ihm gar nicht. Eine lange, abgeholzte Schneise durchzieht den Urwald südlich des Urlaubsorts Cancún. Tausende von großen Baupfeilern dringen alle 15 Meter tief in den Boden ein. Bald wird hier ein Touristenzug durch den Regenwald fahren.

Nach dreieinhalb Jahren Bauzeit soll der erste Teil des 1554 Kilometer langen Schienennetzes «Tren Maya» eröffnet werden. «Der Maya-Zug wird wirtschaftliche und soziale Entwicklung in den Südosten bringen», verspricht Präsident Andrés Manuel López Obrador. Die Bahn soll Millionen Touristen durch die Halbinsel Yucatán befördern.

1554 Kilometer langes Schienennetz

An der staubigen Baustelle bei Playa del Carmen sieht Rojo allerdings nur Zerstörung. Das Megaprojekt von López Obrador zerschneide den Dschungel und füge dem Ökosystem irreversiblen Schaden zu, sagt der Biologe und Aktivist. «Da unten befindet sich die Grundwasserleitung, von der alle Pflanzen, Tiere und Menschen in der Region abhängen.»

Der Zug wird zunächst zwischen San Francisco de Campeche am Golf von Mexiko und Cancún in der Karibik fahren. Die Strecke ist 473 Kilometer lang und verläuft teilweise auf einer früheren Bahntrasse. Bis Ende Februar soll das gesamte Netz mit 34 Haltestellen in fünf Bundesstaaten komplett sein, einschließlich der umstrittensten Abschnitte durch Karstgebiet und Regenwald.

Nur der Amazonas-Regenwald ist größer

Elias Siebenborn aus Hainichen bei Chemnitz lebt seit zwölf Jahren in der Region und arbeitet als Reiseführer. In seiner Freizeit dokumentiert er die Auswirkungen des «Tren Maya». Mit einem GPS-Gerät stellt er sich mitten in die Wildnis und fliegt seine Drohne über die dichte Vegetation bis zu der Trasse der Bahn. «Hier sieht man es», sagte er und zeigt die Live-Aufnahme der Drohne: Eine Kilometer lange Schneise durchschneidet das satte Grün der bisher unberührten Natur.

Entlang der Bahnstrecke zwischen Playa del Carmen und Tulum hat der Deutsche bereits 121 kleine, mittlere und große unterirdische Höhlen dokumentiert. «Früher bin ich in den Dschungel gegangen, um Vögel zu fotografieren», sagt er. Doch als der Bau begann, habe er angefangen, die Schäden zu registrieren. «Ich hätte nie gedacht, wie extrem das ist.» Durch das Höhlensystem fließen unterirdische Flüsse bis zum Meer.

Die Selva Maya in Mexiko, Guatemala und Belize ist das größte Regenwaldgebiet im amerikanischen Kontinent nach dem Amazonas. Dort errichtete die Maya-Zivilisation einst mächtige Städte wie Chichén Itzá. Der Touristenzug soll mit einer Höchstgeschwindigkeit von 160 Stundenkilometern zahlreiche Ruinenstätten verbinden. Auch für normale Personen- sowie Güterzüge sind die Gleise vorgesehen.

Vom Militär verwaltet

Manuel Andrew hat hohe Erwartungen. Der 48-Jährige arbeitet als Gepäckträger in einem Hotel in der Nähe des künftigen Bahnhofs in Cancún. «Gemeinden, die in Vergessenheit geraten waren, werden nun einen Aufschwung durch den Tourismus erleben, weil der Zug dort halten wird», sagt er. Anwohner würden ihr Handwerk direkt an Touristen verkaufen oder in den Hotels arbeiten können. «Was schlagen die Gegner des Zuges sonst vor, damit die Menschen vorankommen? Wenn sie mit einem anderen Projekt kommen, das Wirtschaftschancen schafft, ohne dem Regenwald zu schaden, mache ich auch mit.»

Die Kosten des vom Militär verwalteten Maya-Zugs haben sich seit Baubeginn auf 500 Milliarden Peso (27 Mrd. Euro) verdreifacht. Auch Europäische Firmen sind am Projekt beteiligt. Eine Tochterfirma der Deutschen Bahn wurde mit Beratungsaufgaben beauftragt. Die Streitkräfte bauen zudem sechs Hotels, eines davon im Biosphärenreservat von Calakmul, wo es archäologische Ruinen gibt. Dort leben einige der letzten Jaguare Mexikos. Gemeinschaftliche Landflächen wurden enteignet oder aufgekauft, das Immobiliengeschäft boomt.

Weltweit habe kein anderes Land ein so großes Bahnprojekt in so kurzer Zeit umgesetzt, sagt Mexikos Präsident López Obrador. In dem Punkt geben ihm seine Kritiker recht: Der Bau sei zu schnell, mit viel Improvisation und ohne die obligatorischen Umweltschutzgutachten durchgeführt worden, sagt Aarón Hernández vom mexikanischen Zentrum für Umweltrecht (CEMDA) in Cancún.

Als es immer mehr Klagen gegen das Projekt gab, habe der linksnationalistische Staatschef den Maya-Zug zur Angelegenheit der nationalen Sicherheit unter Kontrolle des Militärs erklärt, damit es nicht gestoppt werden durfte. Das Projekt habe auch zu Spaltungen innerhalb von Gemeinden geführt. Menschenrechtler kritisieren zudem die Militarisierung der Region.

Neue Grenze zu den Vereinigten Staaten

In Mérida, der Hauptstadt des wirtschaftlich aufstrebenden Bundesstaates Yucatán, herrscht gute Stimmung. Die Stadt, die auf der ersten Route des Zuges liegt, stellt sich auf mehr Touristen ein. Die Straßenpflasterung wird erneuert, Hausfassaden erhalten einen neuen Anstrich und ein gastronomischer Korridor wird errichtet. Der Bundesstaat mit Maya-Gemeinden und Haciendas gilt als der sicherste in Mexiko.

Doch die Entwicklungspläne beschränken sich nicht nur auf den Tourismus. Yucatán will laut Gouverneur Mauricio Vila zu Mexikos «neuer Grenze zu den USA» werden - im wirtschaftlichen Sinne. Ein Hafen am Golf von Mexiko wird für die Ausfuhr von Waren ausgebaut, neue Industrieparks entstehen. Das Schienennetz des Maya-Zugs ist mit einem anderen Projekt der Regierung von López Obrador verbunden - dem industriellen Interozeanischen Korridor zwischen Pazifik und Atlantik.

Der Maya-Zug sei Teil eines Wirtschaftsplans, der auf Kosten der Naturressourcen, der Menschen und ihrer Kultur durchgesetzt werde, sagt Aktivist Rojo in Playa del Carmen. «Manche glauben, wir leben vom Tourismus. Wir leben aber von der Natur, die die Touristen anzieht. Missachten wir die Natur, werden wir weder Tourismus noch Natur und somit auch kein Einkommen haben.»


Bildnachweis: © Fernando Martinez Belmar/FMB/dpa
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