13. Juli 2023 / Aus aller Welt

Der Klimawandel und die sterbenden Alpengletscher

Alpengletscher schmelzen immer schneller, Permafrost taut, Berggipfel bröckeln. Die Klimaerwärmung hinterlässt im Gebirge deutliche Spuren. Das hat weitreichende Auswirkungen.

Wanderer in den Ötztaler Alpen nahe dem Gurgler Ferner. Einst war das Gebiet vergletschert.

Die Gletscher in den Alpen ziehen sich Stück für Stück zurück. Im österreichischen Ötztal, nahe der Grenze zu Italien, müssen Bergsteiger inzwischen viel Zeit einplanen, wenn sie den Gurgler Ferner erreichen wollen. Der Weg durch das Gebirgstal führt durch eine Moränenlandschaft - über Gestein und Geröll, das von dem Gletscher einst bewegt wurde. Wenn die menschengemachte Klimaerwärmung wie bisher fortschreitet, dürfte vom Gurgler Ferner nach Expertenmeinung spätestens im Jahr 2100 nichts mehr übrig sein.

Seit 1990 habe sich der Gletscher um 300 Meter zurückgezogen, davon allein in den vergangenen zehn Jahren um 100 Meter, sagt Geograf Tobias Hipp vom Deutschen Alpenverein (DAV). Die Veränderungen seien extrem. «Jedes Jahr verändert sich die Landschaft komplett.» Seine düstere Prognose: Nicht nur der Gurgler Ferner, dessen höchster Punkt auf knapp 3500 Metern liegt, dürfte bis Ende des Jahrhunderts abgeschmolzen sein, sondern die gesamten Gletscher in den Ostalpen.

Der Glaziologie-Professor Olaf Eisen aus Bremen geht - insbesondere nach dem Hitzesommer 2022 - davon aus, dass dieser Prozess noch deutlich schneller abläuft. In einer Abwesenheitsnotiz des Professors auf eine Mail für eine Interview-Anfrage hin heißt es passend: «Ich bin auf einer Exkursion zu den sterbenden Gletschern der Alpen.» Eisen schätzt, dass schon in 30 Jahren im Ötztal kein Gletscher übrig sein könnte.

Den Alpen-Gletschern in Lagen ab 4000 oder 4500 Höhenmetern gibt der Fachmann vom Alfred-Wegener-Institut am Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung noch etwa 100 Jahre mehr Zeit, ehe sie weitgehend verschwunden sein dürften.

Künftig deutlich weniger Schneefall erwartet

Die Erde sei auf einem starken Erwärmungskurs, bilanziert Hipp vom DAV und verweist auf einen der Hitzerekorde aus dem Jahr 2022, als die Nullgradgrenze im Juli auf mehr als 5000 Höhenmeter gestiegen war. Für die Zukunft bedeute die Erwärmung regional tendenziell weniger Niederschlag im Sommer und einen signifikanten Rückgang der Schneemenge - im Tal um bis zu 80 Prozent und auf 2000 bis 2500 Höhenmetern um 40 bis 50 Prozent im Vergleich zu heute.

Der Rückgang an Niederschlag und Gletschereis hat Folgen, die Eismassen sind wichtige Wasserspeicher. Bei intakten Klimabedingungen bleibe ein Gletscher erhalten, erläutert der Glaziologe Olaf Eisen, weil es im Mittel oben drauf schneie und unten im Sommer Wasser abschmelze. Dieses Verhältnis sei seit den 1980er Jahren immer stärker aus dem Gleichgewicht gekommen.

Und die stärkere Gletscherschmelze bedeutet laut Eisen nicht zugleich mehr Grundwasser, denn: «Die Flächen der Gletscher werden immer kleiner, das Eis, das noch abschmelzen kann, wird immer weniger.» Sein Fazit: «Je weniger Gletscher es gibt, desto schwieriger wird die Lage mit Trockenheit und Hitzewellen in den Bergregionen.»

Eine weitere Konsequenz aus der Erderwärmung: Permafrostboden - also Erdreich, das dauerhaft kälter als null Grad ist - beginnt zu tauen. Permafrost stabilisiere gesamte Hänge, sagt Hipp. Steigt die Temperatur im Permafrostboden, beginne sich dieser zu bewegen. Mögliche Folgen seien Steinschlag, Fels- und Bergstürze. Letzteres hatte es jüngst am Südgipfel des Fluchthorn in Österreich gegeben.

Mit dem Klimawandel wandelt sich der Bergsport

Keine Gletschertouren mehr gehen zu können, dürfte angesichts der vielen negativen Auswirkungen des Klimawandels eines der geringeren Probleme sein. Dennoch sind im Bergsport bereits Veränderungen spürbar.

Manche Gletschertouren können im Juli oder August nicht mehr wie früher durchgeführt werden, weil Schnee und Eis zu weich werden. DAV-Bergführer Hans Hocke berichtet von Ausbildungskursen, die er in höhere Regionen verlegen müsse. Weil der Gurgler Ferner sich immer weiter zurückgezogen hat, ist über das dortige Tal 2017 eine mehr als 180 Meter lange Hängebrücke gespannt worden, damit Bergsteiger auf ihrem Weg von der Langtalereckhütte zum Ramolhaus nicht mehr erst in das Tal ab- und auf der anderen Seite wieder aufsteigen müssen.

Das Hochwildehaus am Gurgler Ferner ist seit Jahren geschlossen. Im Gemäuer sind Risse zu sehen. Auch diese hingen mit dem Klimawandel zusammen, wie Ingenieurin Monika Zeilhofer vom DAV sagt. Als die Hütte gebaut worden sei, habe es darunter noch Permafrost gegeben. Der sei getaut und habe den Untergrund instabiler werden lassen. Durch die steigenden Temperaturen komme es im Boden zu Frost-Tau-Wechseln, die dem Gemäuer schadeten.

Zwar könne das Hochwildehaus saniert werden, sagt die Fachfrau. Allerdings sei die zuständige DAV-Sektion unschlüssig, ob der Standort überhaupt weiterbetrieben werden soll. Denn wenn der Gletscher weiter abschmelze, dürften weniger Bergsportler kommen. Und die könnten ein kleines Nebengebäude zur Selbstversorgung nutzen.

Angesichts der düsteren Schnee- und Gletscher-Prognosen hat der Alpenverein ein klare Haltung zur möglichen Erschließung von Regionen oberhalb von 3000 Höhenmetern durch Lifte und Pisten. Tobias Hipp sagt: «Unsere Position ist: kein weiterer Ausbau von Skigebieten.»

«Wir müssen raus aus der fossilen Energie»

Stoppen lässt sich das Abschmelzen der Gletscher derzeit nicht, wie Olaf Eisen sagt. Würde aber der CO2-Ausstoß auf Null gebracht werden, wonach es derzeit nicht aussieht, könnte der Rückgang der Gletscher zumindest verringert werden. Würde es langfristig sogar gelingen, das CO2 aus der Atmosphäre wieder zu entfernen, könnten die Gletscher wieder wachsen. «Das ist technisch zurzeit aber nicht möglich und wird wohl auch in den kommenden 20 Jahren nicht möglich sein.»

Deswegen sagt der Glaziologie-Professor: «Wir müssen raus aus der fossilen Energie, damit wir den CO2-Anstieg in der Atmosphäre stoppen und langfristig auch wieder reduzieren. Wenn wir 2050 damit beginnen, ist es zu spät für die Gletscher.»


Bildnachweis: © Ute Wessels/dpa
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