5. November 2023 / Aus aller Welt

Hamburger Flughafen: Glückliches Ende einer Geiselnahme

Stundenlang verhandeln Polizisten mit einem bewaffneten Mann. Er ist mit seinem Auto und seiner Tochter als Geisel auf das Vorfeld gerast. Erst nach über 20 Stunden läuft der Flugbetrieb wieder an.

Ein bewaffneter Mann hält auf dem Airport in hamburg seine vierjährige Tochter in seiner Gewalt. Hintergrund soll nach Polizeiangaben ein Sorgerechtsstreit sein.

Die Geiselnahme eines vierjährigen Mädchens auf dem Rollfeld des Hamburger Flughafens hat nach mehr als 18-stündigem Nervenkrieg ein glückliches Ende genommen. Die Polizei nahm den bewaffneten Geiselnehmer, der seine Tochter seit Samstag in seiner Gewalt hatte, nach langem Hin und Her in der Marathon-Verhandlung fest.

Das Kind blieb unverletzt. Der Tatverdächtige habe mit seiner Tochter auf dem Arm um 14.25 Uhr das Auto verlassen, das Mädchen Spezialeinsatzkräften übergeben und sich widerstandslos vorläufig festnehmen lassen, teilte die Polizei mit.

Beginn und Vorgeschichte der Geiselnahme

Damit ging eine Geiselnahme zu Ende, die am Samstag im niedersächsischen Stade begonnen hatte. Nach ersten Erkenntnissen der Polizei geriet der 35 Jahre alte Mann dort aufgrund von Sorgerechtsstreitigkeiten mit seiner 39 Jahre alten Ex-Frau in eine psychische Ausnahmesituation. Vorausgegangen sei ein Streit, in dessen Verlauf der türkische Staatsbürger die Mutter des Kindes zur Seite gestoßen habe und dann mit der Vierjährigen im Auto in Richtung Hamburg geflüchtet sei.

Bereits im März 2022 war in Stade gegen ihn laut Polizei wegen des Verdachts der Entziehung Minderjähriger ermittelt worden. «Damals war er unberechtigt mit seiner Tochter in die Türkei gereist. Das Kind konnte im weiteren Verlauf jedoch von der Mutter wieder nach Deutschland geholt werden», teilte die Polizei mit.

«Akt brachialer Gewalt» am Flughafen

Von Stade war der 35-Jährige zum Hamburger Airport gefahren. Am Flughafen durchbrach er gegen 20.00 Uhr mit seinem Auto, in dem auch seine Tochter saß, eine Absperrung am Tor zum Vorfeld des Airports. Der Airport erklärte, der Mann habe sich «mit einem Akt brachialer Gewalt Zutritt in einen mehrfach gesicherten Bereich verschafft».

Das Auto sei mit hoher Geschwindigkeit durch eine Sicherheitssperre gelenkt worden. «Der Fahrer hat dabei keine Rücksicht darauf genommen, ob er sich selbst, seine Insassin oder das Personal an der Sicherheitsschleuse verletzen oder gefährden könnte.»

Er schoss laut Polizei auf dem Gelände in die Luft und warf Brandsätze aus dem Wagen. Mehr als 18 Stunden lang stand sein Auto danach neben einer Maschine der Turkish Airlines. Über Stunden versuchte die Polizei, die Geiselnahme unblutig zu beenden - am frühen Sonntagnachmittag schließlich mit Erfolg.

Dank von Bürgermeister und Innensenator

«Vielen Dank der Hamburger Polizei für ihren Einsatz und das besonnene Vorgehen, mit dem das vierjährige Mädchen befreit und der Täter festgenommen werden konnte», sagte Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD). «Ich wünsche der Mutter, dem Kind und ihrer Familie viel Kraft, die schrecklichen Erlebnisse zu bewältigen.»

Während des nervenzehrenden Einsatzes der Polizei ruhte der Flugbetrieb im Norden, die Sperrung des Airports dauerte am späten Sonntagnachmittag noch an. Für die Polizei Hamburg war es laut Innensenator Andy Grote (SPD) «einer der längsten und herausforderndsten Einsätze der jüngeren Geschichte». Insgesamt waren rund 920 Beamte aus Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und der Bundespolizei im Einsatz.

Mutter des Kindes wartet am Flughafen

Während der stundenlangen Verhandlungen mit dem 35-Jährigen war das als Geisel im Auto festgehaltene Mädchen laut Polizei allem Anschein nach körperlich unversehrt. Das Kind sei in den Telefonaten mit dem Mann im Hintergrund zu hören gewesen, sagte Polizeisprecherin Sandra Levgrün der Deutschen Presse-Agentur.

Bereits die ganze Nacht wurde verhandelt. Es wurde auf Türkisch gesprochen, sagte Levgrün. Die Mutter wollte nach Angaben des Leiters des Kriseninterventionsteams des DRK Hamburg, Malte Stüben, «natürlich so schnell es geht zu ihrem Kind». Die Frau war demnach am Airport in direktem Kontakt mit dem DRK. Nach Stübens Angaben war auch eine Kinderärztin da, die sich nach der Geiselnahme um das vierjährige Mädchen kümmern sollte.

Flugbetrieb wieder angelaufen

Nach dem Ende der Geiselnahme am Hamburger Flughafen ist der Flugbetrieb wieder angelaufen. «Der Flughafen hat wieder geöffnet», sagte ein Airport-Sprecher am Sonntag der Deutschen Presse-Agentur. Laut der Website flightradar24.com landete als erstes Flugzeug eine Eurowings-Maschine aus Hannover. Bis zum Abend sollten nach Angaben des Sprechers weitere Starts und Landungen folgen.

Es sei aber weiter mit Streichungen und Störungen im Ablauf zu rechnen, sagte der Sprecher. Passagiere sollten ihren Flugstatus überprüfen und sich bei Bedarf an die Airline wenden.

Der Flughafen in Hamburg rechnet für Montag weitestgehend mit Normalbetrieb. Es seien 152 Starts und 162 Landungen geplant. Vereinzelt kann es den Angaben zufolge jedoch vorkommen, dass Flüge gestrichen werden oder sich verzögern.

Tausende Menschen sind betroffen

Der Flughafen war zunächst weiträumig gesperrt, er wurde am frühen Abend aber wieder geöffnet. Die Zahl der wegen der Geiselnahme am Hamburger Flughafen gestrichenen Flüge war zuvor stetig gestiegen. Nach Angaben des Flughafens vom Sonntagvormittag waren seit dem eigentlichen Betriebsbeginn um 6.00 Uhr bis 11.00 Uhr bereits 126 Flüge gestrichen worden. Fünf Ankünfte seien zu anderen Flughäfen umgeleitet worden. Für den gesamten Tag waren eigentlich 286 Flüge - 139 Abflüge und 147 Ankünfte - mit rund 34.500 Passagieren geplant. Bereits am Samstag waren 27 Flüge mit rund 3200 Passagieren betroffen.

Passagiere schildern Ängste

«Beängstigend», «gruselig» - so schilderten Passagiere, die aus ihren Maschinen geholt wurden, ihre Eindrücke. Eine junge Frau, die nach Mallorca fliegen wollte, sagte der dpa, sie habe ein Feuer gesehen und erst gedacht, das werde schnell wieder gelöscht. Dann habe sie gehört, es gebe einen Amoklauf, das sei schon gruselig gewesen. Tatsächlich hatte der bewaffnete Mann bei seiner Fahrt auf dem Flughafen heraus Brandflaschen geworfen, die auf dem Vorfeld Feuer auslösten.

Zahlreiche Passagiere verbrachten die Nacht in einem Flughafen-Hotel. «Wir haben hier im Endeffekt 250 Leute untergebracht», sagte Frank Kohlstädt, Leiter der DRK-Station am Flughafen. Rund 200 Menschen hätten zudem noch Hotelzimmer bekommen. Die Menschen seien eher aufgeregt gewesen als psychisch belastet.

Schon zuvor Sicherheitsvorfälle

Bereits im Oktober war der Hamburger Flughafen gesperrt worden, damals allerdings wegen einer Anschlagsdrohung auf eine Maschine von Teheran nach Hamburg. Im Juli hatten Klimaaktivisten der Gruppe Letzte Generation den Hamburger Flughafen für Stunden lahmgelegt. Damals hatte es Forderungen nach einer Verstärkung der Sicherheit gegeben. Der Flughafen Hamburg sieht aber trotz Geiselnahme keine Versäumnisse bei der Sicherung des Geländes. «Die Sicherung des Geländes entspricht allen gesetzlichen Vorgaben und übertrifft diese größtenteils», sagte eine Flughafensprecherin der dpa.

Kritik an Sicherheitsmängeln auf Flughäfen

Gleichwohl gab es aber auch Kritik an den Sicherheitsstandards an deutschen Flughäfen. Der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) etwa reicht das bisherige Vorgehen nicht mehr. «Es ist nur schwer vermittelbar, dass etwa Weihnachtsmärkte mit Betonbarrikaden gesichert werden, und unsere Flughäfen werden als Hochsicherheitsbereiche von Betreibern stiefmütterlich behandelt», sagt DPolG-Bundesvize Heiko Teggatz.

Im «Spiegel» sagte der Luftfahrtexperte Heinrich Großbongardt: «Der Hamburger Flughafen ist nicht sicher - und andere Airports in Deutschland auch nicht.» Flughäfen seien seit Jahrzehnten als bevorzugte Angriffsziele für Terroristen bekannt. Auf den Vorfeldern stünden Maschinen mit Zehntausenden Litern Kerosin im Bauch und Hunderten Passagieren an Bord.» Großbongardt bezeichnete daher die Flughafenbetreiber und Behörden als «unfassbar naiv».


Bildnachweis: © Daniel Bockwoldt/dpa
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