31. März 2024 / Aus aller Welt

Arsen: Wie Giftgrün in Bibliotheken für Probleme sorgt

Im 19. Jahrhundert war arsenhaltiges Grün eine Trendfarbe - auch an alten Büchern findet man das bedenkliche Farbpigment. Nun ringen Bibliotheken um den richtigen Umgang mit unzähligen Verdachtsfällen

Weil giftiges Arsen einzelne Bücher aus dem 19. Jahrhundert belasten könnte, untersuchen Bibliotheken ihren Bestände.

Nicht nur Künstler wie Monet und van Gogh setzten auf die Leuchtkraft dieses Farbtons, auch in der Buchherstellung des 19. Jahrhunderts war das Giftgrün populär: Doch weil das sogenannte «Schweinfurter Grün» gesundheitsschädliches Arsen enthält, setzt die Trendfarbe von früher Bibliotheken aktuell unter Handlungsdruck. 

Getrieben von den Erfordernissen des modernen Arbeitsschutzes suchen Archive mit historischen Buchbeständen derzeit nach dem richtigen Umgang mit den vielen möglicherweise belasteten Büchern. Experten raten zur richtigen Balance zwischen Risikominimierung und Vorsicht - Aussitzen lasse sich das Problem jedoch nicht. Und so kommt auf viele Bibliotheken ein logistischer Kraftakt zu. 

Schon länger Fachdiskussion um potenzielle Arsenbelastung

Mediale Beachtung fand das in Fachkreisen schon länger diskutierte Problem mit den belasteten Büchern, als die Universitätsbibliothek Bielefeld sich Anfang Februar entschied, per Pressemitteilung kundzutun, vorsichtshalber sämtliche 60.000 Bücher und Zeitschriften aus dem 19. Jahrhundert für die Ausleihe und Benutzung zu sperren. Der Grund: Arsen ist giftig und krebserregend - die Sperrung bis zur Überprüfung sei daher eine notwendige Vorsichtsmaßnahme. 

Weitere Uni-Bibliotheken, darunter Siegen, Duisburg-Essen, Kiel und Saarbrücken, kündigten ebenfalls an, ihre historischen Bestände einer Prüfung unterziehen zu wollen. Um die Verdachtsfälle für eine Überprüfung aus den Regalen zu nehmen, schloss in der vergangenen Woche die Uni-Bibliothek in Düsseldorf für mehrere Tage ihre Pforten. 

Keine Gefahr bei sachgerechtem Gebrauch

Lesen also lebensgefährlich? Der Deutsche Bibliotheksverband (dbv) gibt in einer Stellungnahme Entwarnung: Nach ersten Untersuchungen konnte bei sachgerechtem Gebrauch bisher weder für Nutzende noch für Mitarbeitende in den Bibliotheken eine höhere Belastung festgestellt werden, heißt es in einer Stellungnahme.

«Ein solches Buch abzulecken, ist sicherlich keine gute Idee, aber das tut ja auch niemand», formuliert Reinhard Altenhöner, Vize-Bundesvorsitzender des Verbandes. Wer sich dagegen an klar kommunizierte «Regeln des Kontaktmeidens» halte, könne weitgehend ungefährdet mit den historischen Beständen arbeiten, ist er überzeugt. 

Doch das Gift in einer unbekannten Anzahl von Buchbänden ist nicht wegzudiskutieren, weitere Forschung dazu läuft: Bestände und Nutzungsszenarien seien jeweils sehr unterschiedlich, heißt es daher beim dbv weiter. Wie viele Bücher aus der kritischen Zeit sind im Bestand? Sind die Archive frei zugänglich, gar ausleihbar? Es liege daher «in der Verantwortung jeder Einrichtung, eine eigenständige Gefährdungsbeurteilung vorzunehmen und gegebenenfalls geeignete Vorkehrungen zu treffen.» 

Ende 2023 hatte der Verband dazu eine detaillierte Handreichung zum Problem veröffentlicht, die in Zusammenarbeit mit Experten der Technischen Hochschule Köln und den Uni-Bibliotheken in Bonn und Kiel entstanden war. Tenor: Um den Anforderungen des modernen Arbeitsschutzes gerecht zu werden, müssen Bibliotheken mit alten Beständen Vorsicht walten lassen, Verdachtsfälle möglichst herausfiltern und im Einzelfall festlegen, wie mit potenziell kontaminierten Büchern umzugehen ist. 

«Schweinfurter Grün» brachte Farbe in graue Welt

«Man muss mögliche belastete Bücher separieren und kennzeichnen. Damit beginnen nun viele Bibliotheken und stellen sich dieser Problematik», sagt Andrea Renate Pataki-Hundt, die als Professorin am Institut für Restaurierungs- und Konservierungswissenschaften in Köln an den Empfehlungen mitgearbeitet hat. Neu sei das Problem in der Fachwelt allerdings nicht.

«Mich überrascht schon, dass das nicht viel früher in der Breite der Bibliotheken angekommen ist», sagt sie. Schon seit  2020 arbeitet sie gemeinsam mit der Uni- und Landesbibliothek Bonn zur Frage, wie arsenbelastete Bände erkannt und wieder nutzbar gemacht werden können - noch viel länger wissen Restauratoren um das Problem mit dem «Schweinfurter Grün».

Das synthetisch hergestellte Farbpigment wurde im 19. Jahrhundert genutzt in Tapeten, Ballkleidern, Wandanstrichen, der Malerei - und eben bei der Herstellung von Büchern. Der Stoff und seine Abwandlungen wurden unter vielen Bezeichnungen vertrieben. Weil der Farbenhersteller Wilhelm Sattler den Farbstoff zu Beginn des 19. Jahrhunderts in der nordbayerischen Stadt industriell herstellen ließ, war das «Schweinfurter Grün» besonders gefragt.

In der eher grauen Welt von damals, in der leuchtende Farben lange der Oberschicht vorbehalten waren, sei das der breiten Masse verfügbare Kupferarsenitacetat eine «aufregende neue Farbe mit wahnsinniger Faszination» gewesen, erklärt Pataki-Hundt. Im Deutschen Reich wurde der Farbstoff schließlich gegen Ende des 19. Jahrhunderts verboten. «Die Kulturgüter von damals bleiben - damit müssen wir jetzt umgehen.»

So haben die Experten einen Test aus der Wasserwirtschaft übertragen, mit dem Einrichtungen eine Belastung von Büchern feststellen könnten. Auch sei es wichtig, «detektivisch nachzuverfolgen», welchen Weg das Buch genommen habe, um entsprechende Reinigungen der Arbeits- und Lagerplätze vorzunehmen und angrenzende Bücher ebenfalls zu überprüfen - viel Arbeit für Bibliotheken mit großen Altbeständen. 

Staatsbibliothek: Vorsichtiger Umgang

Darum weiß auch Reinhard Altenhöner. Der dbv-Vize-Vorsitzende beschäftigt sich auch als Ständiger Vertreter des Generaldirektors der Staatsbibliothek zu Berlin mit einem der größten Buchbestände des 19. Jahrhunderts, die Deutschland zu bieten hat. 

Auch dort habe man unlängst Maßnahmen zum Schutz von Mitarbeitenden und Nutzenden getroffen - das systematische Überprüfen auf Einzelfälle hin habe hier jedoch keine Priorität, erklärt Altenhöner. Grund ist die schiere Menge der Bücher aus dem 19. Jahrhundert, die die Staatsbibliothek beheimatet: Deutlich über eine Million Bände stammen aus der Zeit. «Das würde dann schon eine gigantische logistische Dimension erreichen, wo man sich fragen muss, ob sich das angesichts der mutmaßlichen Gefahr lohnt.» 

Es ist bislang völlig unklar, wie viele Bücher aus der Zeit tatsächlich betroffen sind - und wie hoch die Belastung im Ernstfall überhaupt ist. «Damit umzugehen ist eine bleibende Aufgabe», sagt Altenhöner. Panik und ausufernde Maßnahmen hält er aber nicht für angezeigt: «Die Mengen, die im Staub oder am Buch auftreten, sind nach unseren bisherigen Erkenntnissen nicht hoch, sodass wir davon ausgehen, dass man bei Einhaltung bestimmter Regeln keiner Gefahr ausgesetzt ist», sagt er. 

Digitalisierung ermöglicht Arbeit mit belasteten Bänden

Schutzhandschuhe und Händewaschen seien angebracht, je nach Belastung ebenfalls ein Mund-Nase-Schutz oder eine Schutzbrille, bei intensivem Kontakt könne auch ein Schutzanzug sinnvoll sein. Wer mit Büchern aus den Altbeständen arbeite, die ohnehin selten in den frei zugänglichen Bereichen der Bibliotheken lagerten, müsse durch geschultes Personal für die Risikominimierung sensibilisiert werden. 

Die Staatsbibliothek denke derzeit auch über die Einrichtung eines gesonderten Raumes für die Nutzung potenziell belasteter Exemplare nach. Auf uralte Bücher mit giftgrünem Einband zuzugreifen, geht in vielen Fällen inzwischen sogar ganz ohne Kontakt - und damit völlig ohne Risiko, denn große Teile des Altbestandes seien längst digital verfügbar: «Das sollten und werden wir nun gezielt vorantreiben.»


Bildnachweis: © Federico Gambarini/dpa
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