14. Juni 2023 / Bildung & Wissenschaft

Forscher finden Strukturen zur schnellen Leitung von Nervenimpulsen bei Insekten

Neurobiologen der Universität Münster veröffentlichen Erkenntnisse zur Evolution der glialen Umhüllung und der schnellen Signalleitung bei Neuronen

Nervensystem

Foto (WWU - AG Klämbt): Mikroskopischer Blick in das Nervensystem einer adulten Taufliege. Auf den Axonen der Neurone sind grün fluoreszierende Kanalproteine gezeigt.


Das Gehirn der Tiere besteht aus zwei verschiedenen Zelltypen: Neurone, die Informationen verarbeiten und versenden und Gliazellen, die die Neurone auf vielfältige Weise unterstützen. Der französische Anatom Louis-Antoine Ranvier stellte im Jahr 1871 eine Besonderheit von Neuronen bei Wirbeltieren vor: So gibt es an den Fortsätzen dieser Nervenzellen ringförmige Regionen, an denen die Hüllschicht – das von Gliazellen gebildete Myelin – fehlt. Die „Ranvier’schen Schnürringe“ sind gemeinsam mit der elektrisch isolierenden Myelinhülle eine Grundlage dafür, dass elektrische Nervenimpulse über längere Strecken sehr schnell weitergegeben werden können. Sie „springen“ mit einer Geschwindigkeit von bis zu 100 Metern pro Sekunde von Schnürring zu Schnürring. Diese „saltatorische Erregungsleitung“ wurde lange als spezifisch für Wirbeltiere angesehen. Ein Forschungsteam um den Neurobiologen Prof. Dr. Christian Klämbt von der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster hat jetzt am Beispiel der Taufliege (Drosophila melanogaster) erstmals gezeigt, dass es auch bei Insekten ähnliche Strukturen gibt. Die Studie ist in der Fachzeitschrift eLife veröffentlicht.

Für die Arbeit analysierte das Team bei der Taufliege die Verteilung der Proteine, die für die neuronale Erregungsleitung notwendig sind. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten mithilfe genetischer und mikroskopischer Verfahren, dass die der Weiterleitung zugrunde liegenden ionenleitenden Natrium- und Kaliumkanäle ähnlich wie bei Wirbeltieren in Clustern angeordnet sind. Wie in einer von der Arbeitsgruppe kürzlich publizierten theoretischen Arbeit beschrieben, macht die lokale Anhäufung von Ionenkanälen eine strikte räumliche Trennung von einzelnen Axonen, den Fortsätzen der Nervenzellen, erforderlich. Dies ist bei Wirbeltieren durch das gliale Myelin gewährleistet. Die Gruppe belegte, dass auch in Drosophila myelinähnliche Strukturen um Axone, nahe der die Ionenkanäle tragenden Plasmamembranbereiche, gebildet werden. Wie bei Wirbeltieren wird das Myelin durch spezifische Gliazellen gebildet und ist eine Voraussetzung für eine schnelle und genaue Erregungsleitung.

„Wir haben sowohl die dezidierte Organisation der spannungsregulierten Kanäle als auch den Aufbau myelinähnlicher Strukturen erstmals für Drosophila beschrieben“, betont Christian Klämbt. „Zusätzlich konnten wir zeigen, dass Gliazellen die genetische Aktivität und die Positionierung von neuronalen Ionenkanälen steuern.“ Die von den Forschern beschriebenen Ähnlichkeiten zwischen Wirbeltieren und den Taufliegen weisen darauf hin, dass das Vorkommen von Ionenkanal-Clustern gepaart mit einer verstärkten Isolierung ein grundlegendes Konzept in elektrischer Informationsleitung ist.

Die Arbeit hilft nicht nur, die Evolution von Myelin nachzuvollziehen, sondern wird es auch erlauben, die Biologie der Myelin-Bildung und -Regeneration genauer zu erforschen. Dies ist vor dem Hintergrund neurodegenerativer Erkrankungen wie Multipler Sklerose von großer Bedeutung. Bei der Therapie wird dabei bislang der Fokus auf die Unterdrückung der Entzündungsreaktion gelegt und die Förderung einer effektiven Re-Myelinisierung ist bisher nicht möglich. „Unsere Erkenntnisse werden daher auch dazu beitragen, Wege zu alternative Therapieformen beispielsweise für Multiple Sklerose aufzudecken“, sagt Christian Klämbt.

Für ihre Untersuchungen setzten die Forscher Methoden der molekularen Genetik in Kombination mit verschiedenen modernen bildgebenden Verfahren ein. Dazu zählt die neuartige elektronenmikroskopische Darstellung von markierten Proteinen und besonders hochauflösende konfokale Mikroskopie.

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